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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ganze Bett unter Wasser gesetzt. Und Frau Sturm hat zwanzigmal geklingelt, weil sie musste, oder was trinken wollte oder Fenster auf und so. Die Frau Dr. Kolchewski ist die ganze Nacht gewandert, hat ne Tag-Nacht-Umkehr.
    Ivy, dachte Rosalinde. – Ivy fehlte und Lotta. Sie hörte halbherzig die Nachtschwester reden und machte sich die eine oder andere Notiz. Fasste wieder zum Telefon und wählte Ivys Nummer.
    Ivy … Sie trommelte auf den Tisch. Da ging niemand dran. Sie wählte die Handynummer und ließ läuten. Nichts.
    Frau Schlecker hat erbrochen und ich habe das Bett abgezogen und ihr Kamillentee gebracht … Frau Wilhelm hatte Urin in der Vorlage, musst dir mal den Katheter anschauen, der läuft para.
    Ja, Mona warte mal, ich muss erstmal anrufen.
    Aber ich will doch heim.
    Ja, gleich.
    Rosalinde rief alle Stationen an und fragte, ob ihr jemand aushelfen könnte, heute. Aber sie erntete nur Hohn und Gelächter. – Unterbesetzt! Wir sind auch unterbesetzt! Wir haben zwei Kranke, vergiss es! Nee, bei uns ist noch einer auf Lehrgang und die Vera ist gekündigt, die hat doch geklaut. Alles unterbesetzt.
    Rosalinde sank in sich zusammen. Ein Albtraum, der schlimmste Albtraum. Der Teufel, an die Wand gemalt, war herabgestiegen und lachte ihr ins Gesicht. Wie sollte sie das schaffen, wie? Zweiundzwanzig alte Menschen, die alle gewaschen und angezogen werden mussten, die zum Teil schwerstbehindert waren oder geistig vollkommen verwirrt oder dem Tode nah. Um halb acht kam der Frühstückswagen und sie musste zweiundzwanzig Essen richten, Brote schmieren, Kaffee verteilen, das ging nicht. Nichts davon ging.
    Es tut mir leid, Rosalinde, sagte Mona. – Ich gehe dann mal.
    Sie packte ihre Sachen zusammen, stopfte die Zeitung in die Tasche und zog den Mantel an.
    Vergiss trotzdem nicht, nach Frau Schlecker zu gucken, die ist krank.
    Ja.
    Einen Augenblick lang saß Rosalinde wie erschlagen. Medizin austeilen, Verbände wechseln, Spritzen geben, wie sollte das gehen, wie? Im gleichen Moment schoss jemand zur Tür herein, außer Atem, bleich, mit Ringen unter den Augen – aber da. Lotta.
    Lotta, sagte Rosalinde. – Weißt du, wo Ivy ist?
    Ivy – oh, Ivy! Lotta wurde knallrot. – Ist der noch nicht da?
    Nein. Der nicht und Kevin ist krank.
    Ja dann, … vielleicht kann ich den Ivy holen!
    Nee, bleib da, wir fangen jetzt an, Leute zu waschen. Du fängst hinten am Flur an, ich vorne, nur Katzenwäsche, ein Waschlappen durchs Gesicht, einer über den Po, dann sehen wir weiter!
    Kann ich noch einen Kaffee …?
    Nix! Fang an! Mach, mach irgendwas, aber mach!
    Lotta war einen Augenblick wie versteinert. Dann rannte sie doch in die Küche, kippte sich den alten Kaffee der Nachtschwester in einen Becher und rannte mitsamt dem Becher los und krallte sich einen Pflegewagen. Mein Gott, Ivy, wieso kam er denn nicht? Heute Nacht war er noch so gut drauf gewesen. Und jetzt? Was? Was sollte sie jetzt noch mal machen?
    Zweierwindeln? Dreierwindeln? Wie noch mal? So gut wusste Lotta nicht Bescheid, sie war ja nur Stationshilfe. Sie fing mal am besten an mit Frau Schlecker, da lag sie im Halbdunkel, zusammengekugelt, sie war ihr eigenes Schneckenhaus und sie kratzte sich am Po.
    Nur Katzenwäsche, hatte Rosalinde gesagt. Aber sie musste Frau Schlecker doch auch an- und ausziehen, und außerdem roch es leicht nach Erbrochenem. Wie sollte sie einer so krummen Frau, die nach allen Seiten strampelte, die Windel anziehen? Lotta zerrte vorsichtig am Nachthemd und zog es ihr irgendwie über den Kopf. Die nackte, weiße Haut war von dicken Leberflecken übersät, eine Art Hautkrebs, die sie da hatte. Lotta zog die Gummihandschuhe an, holte nasse Waschlappen und wusch sie überall, bemühte sich, nicht richtig hinzusehen, wenn sie sie an den Genitalien wusch, den wulstigen Schamlippen voller Leberflecke zwischen den krampfhaft zusammengezogenen Knien der Frau Schlecker. Frau Schlecker sagte aua.
    Ich muss mal hier irgendwo die Windel hinmachen und dann festkleben, links und rechts.
    Je mehr Lotta versuchte, sich zu beeilen, umso weniger hielt die Windel, umso häufiger klebte sie sich die Streifen an die Gummihandschuhe und umso mehr kullerte Frau Schlecker krumm im Bett herum und ließ sich nicht versorgen. Der Pullover von gestern hatte einen Fleck, aber sie hatte keine Zeit einen anderen zu nehmen und streifte den schmutzigen wieder über, zwängte Frau Schlecker in eine Jogginghose und zog ihr die Nylonknielinge an. Die einzigen Schuhe, die ihr

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