Die letzten Dinge - Roman
den Schwestern! Man muss sich ja schämen! Und du lässt dich morgen waschen von den Pflegern! Sieh zu, wie du fertig wirst – mir reicht es jetzt! Verdammt noch mal!
Dann rannte sie hinaus und knallte die Tür zu und lehnte sich von hinten aufatmend dagegen. Jedesmal ging es schief. Jedesmal. Sie konnte machen, was sie wollte. Dieser unleidliche Rüpel. Gut, da gefiel ihm das Russisch Leder eben nicht. Der konnte sich selbst nicht leiden, der Karl. Sich selbst nicht leiden. Sie war es müde, darüber nachzudenken, und sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, sie verstand es doch nicht. Auf jeden Fall musste sie noch mal bei der Schwester vorbei. Es war wichtig, zur Schwester zu gehen. Sie musste zeigen, dass sie sich kümmerte. Sie drehte den Schlüssel dreimal um und dann ging sie auf die Suche nach einem weißen Kittel und überlegte sich vorher schon die Fragen:
Wie beträgt sich mein Sohn denn? Isst er auch alles auf? Schläft er auch nachts? Sieht er nicht zu viel fern?
Da. Da war eine dickliche Dame im weißen Kittel mit rosa Borte. Sie trug ein Kopftuch, das war neu für Krankenschwestern. Aber egal.
Entschuldigung, Schwester …
Die neue Küchenhilfe aus Kasachstan sollte frische Marmelade auf die Station bringen. Sie verstand nur: guten Tag und auf Wiedersehen und Marmelade.
Wos?
Ich bin die Mutter von Herrn Kurtacker und ich wollte nur fragen: Wie beträgt sich mein Sohn denn? War er einigermaßen brav?
Ja novaja sdes.
Was?
Ja novaja sdes.
Karl Kurtacker! Ich bin die Mutter von Karl Kurtacker! Der in DEM Zimmer wohnt!
Sie zeigte mit dem Finger auf seine fest verschlossene Tür.
Wollen Marmelade?
Ich will doch keine Marmelade, ich wollte nur … wo kommen Sie überhaupt her?
Kasachstan.
Ach du meine Güte. Ob der Herr Kurtacker brav ist!!!
Ähm … nix verstehen, bin ich in Kuuche.
Was? Was haben Sie gesagt?
In Kuuche!
Dann drehte sich die Frau aus Kasachstan um und stapfte davon. Emilie blieb verärgert zurück, packte ihre Tasche fester und schimpfte in sich hinein. Also das Personal hier, russisch und polnisch und gottweißwoher, da verstand man ja im eigenen Land sein Wort nicht mehr, man kam einfach nicht mehr zurecht, musste sie, Emilie, sich eigentlich hier so … so behandeln lassen, verdammt noch mal, konnte man denn kein vernünftiges Wort reden mit irgendjemandem, alles und alles klappte nicht, ein Durcheinander, sie kam und kam nicht auf den Grund. Womit hatte sie das verdient? Himmelherrgottsakramentnocheinmal.
Emilie schimpfte und grollte vor sich hin und nahm sich fest vor, so bald nicht wiederzukommen. Vier Wochen nicht oder wenigstens drei. Ihr Mann hatte schon immer gesagt, lass gut sein, Emilie, er beschimpft dich nur und du lässt es dir gefallen, lass es doch sein, er ist verkommen und schlecht, was willst du machen? Er ist ein schlechter Hund.
Aber was wollte sie machen, er war ihr Sohn und sie hatte ihn am Hals.
Frau Wissmar! , rief Gianna und rüttelte unsanft an Frau Wissmars Bettgitter. – Frau Wissmar! Wolle trinke?
Frau Wissmar wackelte in dem Bett hin und her wie eine schüttere Larve. Ihre gespreizten Hände reckten sich Gianna entgegen, als ob sie zu ihr bete.
Ich werde jetzt ganz oben eingesetzt, sagte sie, mit geschlossenen Augen, beinahe blind.
Ach was! Kommst du, ich gebe Tee!
Gianna stellte das Bettgitter hoch und reichte Frau Wissmar ein wenig lauwarmen Tee aus der Schnabeltasse. Frau Wissmar spitzte den Mund und nahm drei Schlucke.
Musse mehr tringe! Noch mehr, Frau Wissmar!
Und Gianna stellte die Tasse steil, so dass noch fünfzig Milliliter in ihren Mund liefen und Frau Wissmar prustend abwehrte.
Gianna!, rief sie halb erstickt. – Gianna! Nicht doch! Es ist genug! Geben Sie mir bitte meine Einladung.
Frau Wissmar! Sinde eingelade? Was für Einladung!
Da! Da liegt sie! Es ist wichtig!, rief sie in großer Not.
Auf dem Nachttisch lagen zerstreut einige Prospekte und Papiere.
Da!, rief Frau Wissmar. Sie deutete auf ein gelbes Papier.
Gianna nahm das gelbe Papier und las laut vor:
Der Engel des Herrn rufte dich. Macke dich bereit. Raffael wird deine Wege begleite.
Gianna erbleichte. Unter diesen Zeilen standen die Termine der Gottesdienste von St. Marien. Es war der Rundbrief der Pfarrgemeinde. Gianna ließ das Blatt sinken und tastete nach den Händen von Frau Wissmar, um sie sanft zu klopfen. Frau Wissmars aber griff sofort zu, krallte sich fest und grub ihre Nägel in Giannas Fleisch.
Bleiben Sie da!, flüsterte
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