Die letzten Dinge - Roman
und schnitt zu, dann kämmte sie ihm die Haare nach hinten und schnitt unten waagrecht ab.
Du sollst nicht immer so sein zu deiner Mutter, sagte Emilie. – Wenn du noch eine Mutter hast! Wer soll denn sonst nach dir sehen, kannst du mir das sagen? Hm? Wenn ich nicht mehr komme, wer soll dann noch zu dir kommen?
Kurtacker nickte beschämt und sagte ja ja, ja ja und fühlte nur sein erbärmliches Elend in sich aufsteigen. – Ja ja.
Du musst auch einmal beten zum lieben Herrgott. Der hilft dir!
Beim Wort ›Herrgott‹ bäumte Kurtacker sich sofort wieder auf, fing an zu schäumen, von null auf hundert, die Schere flog in hohem Bogen durch das Zimmer und in Kurtackers Augen brannte wieder dieser teuflische Blick und ein Laut kam aus seiner Kehle. Als sei er von zwanzig Hunden gebissen, und er hob die Faust drohend zum Himmel.
Wenn ich den da oben erwische! Den Saukerl da oben! Der ist doch an allem schuld, der hat mich doch hier hingebracht und allein gelassen! Das Arschloch! Das Arschloch! Der kreuzverfluchte … verdammte …!
Dann schäumte er nur noch und verschluckte sich, als müsse er am Erbrochenen seiner Worte ersticken.
Um Gottes Willen!, rief Emilie Kurtacker und bekreuzigte sich. Sie gruselte sich vor ihrem eigenen Sohn. Was war nur in ihn gefahren? Der Leibhaftige selber. Sie war des Teufels Großmutter, nein, seine Mutter. Was sollte man nur machen? Das Haareschneiden ließ sie endlich sein. Es gab ja schließlich noch das Pflegepersonal, wozu waren sie eigentlich da? Schwester Rosalinde, die brachte es doch immer noch fertig, ihn zu waschen und das Bett zu beziehen, wo war sie eigentlich? Emilie stützte den Kopf auf die Hände und verfiel in dumpfes Brüten. Sie konnte nichts tun als warten, dass die Zeit verging, bis sie endlich wieder gehen konnte. Es half ja alles nichts. Wenn er doch nur im Kopf irgendwie … noch klar wäre, dass man mit ihm reden konnte. Aber auch das ging nicht. Das Kreuz, das Kreuz, was hatte man nur für ein Kreuz. Sie stöhnte und seufzte.
Nach einer Weile wurde er wieder stumm und friedlich. Es schien ihm leid zu tun, alles, dass er mittags mit dem Essen um sich warf, dass er die Gemeindeschwester rausgeschmissen hatte, dass er in seinem Gestank umkam, ach wenn er doch endlich verreckte. In die Hölle konnte er nicht mehr kommen, da war er schon. Und wenn es einen Himmel gab, so sollte er ohne Herrgott sein und voller nackter Weiber. Seinen Rollstuhl wollte er von da oben ins Meer feuern oder dem Herrgott, der in der Hölle schmorte, hinterherschmeißen und er weidete sich an dem Gedanken, wie Gott der Herr im Fegefeuer saß oder aufgespießt auf einem Pfahl hing und von hundert Geißeln blutig geschlagen wurde, der Herrgott, der Herrgott, der sollte als Erstes verrecken, der Höllenhund, der Schweinepriester, und er, Kurtacker, gehörte in den Himmel und da blieb er – und der Himmel war ein Ludenbett und tausend nackte Weiber gehörten ihm allein.
Emilie Kurtacker hatte nicht mehr gewagt, sich zu rühren. Aber dann holte sie das Russisch Leder aus der Tasche und öffnete es und roch daran. Es roch ein wenig altbacken, eine Mischung aus Rasierwasser, Schuhgeschäft und Zigarrenrauch. Russisch Leder kam früher oft im Fernsehen in der Werbung und hatte ja schließlich auch mal was gekostet. Sie stand auf und spritzte sich eine Ladung in die Hand.
Guck mal, ich hab dir etwas mitgebracht.
Kurtacker schielte zur Seite. Dann winkte er ab. Ihm war jetzt alles wurschtegal. Emilie zögerte plötzlich. Die Haut, auf die sie das Parfüm auftragen wollte, war fleckig und schmutzig und schmierig. Aber wohin sonst mit der Hand voll Duftwasser? Ach, egal. Emilie ging zu ihm und klatschte das Russisch Leder auf seinen krummen Rücken und verrieb es in großen Bögen auf der fleckigen Haut bis oben an den Hals. Aber an der Schulter und an den Seiten hatte Kurtacker sich Pickel aufgekratzt und überall, wo jetzt das Russisch Leder hinlief, da brannte es wie Feuer.
Aaaah!, schrie Kurtacker wie am Spieß, hör auf!! Hör auf!! Was machst du denn??!! Und er hieb mit der Faust um sich und versuchte, seine nackte Haut zu retten. Da endlich verlor Emilie die Nerven.
Was ist denn jetzt schon wieder? Verdammt noch mal!! Dir kann man es auch nie recht machen, du bist ja gemeingefährlich! Jetzt gehe ich aber!! Pfui, wie kann man sich nur so benehmen!! Ich habe die Nase voll!!
Und sie griff nach dem Popelinmantel und eilte fluchtartig zur Tür. – Und benimm dich ein einziges Mal bei
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