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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sie.
    Gianna nickte und schwitzte und wusste: Da warteten fünf Kannen Tee, es schellte unentwegt und niemand … niemand hatte diese dumme Nichte erreicht, die nur den Anrufbeantworter hatte laufen lassen und die seit dem Pelzklau Hausverbot hatte.
    Frau Wissmar … wie heißte gute Freundin, was iemer kommte?
    Wissmar.
    Nein … meine ich alte Freundin, was iemer kommte, könne anrufe, kann bei Ihne sitze …
    Wissmar.
    Das Freundin aus Urlaub, alte Frau mit weiße Aar, was so freundliche … Wie eißte?
    Wissmar.
    Dio mio, Madonna, Santa Lucia … Frau Wissmar, muss ich gehe, vielleicht ich finde, wer kann alte Hand.
    Bleiben Sie da.
    Später, sagte sie. – Ich komme später.
    Nein!, rief Frau Wissmar. – Bleiben Sie da!
    Mit Mühe und Not entrang Gianna ihre Hände und Frau Wissmar kratzte ihr den Ringfinger auf, Gianna blutete.
    Verstehe doch! Muss ich arbeite, arbeite, arbeite! Wenn fertig, dann ich komme!
    Und Gianna rannte zu einem Zettel auf dem Tisch, kritzelte: 70 ml und verschwand.
    Frau Wissmar hob noch eine Weile die gespreizten Hände, schien irgendetwas in der Luft verscheuchen zu wollen, verharrte dann starr in einer Position wie eine Gottesanbeterin, dann fielen ihr die Augen zu, nicht ganz, nur so weit sie über die Pupillen fielen, und sie glitt in einen barmherzigen Dämmerzustand. Ihre Hände sanken auf die Decke.

Das älteste Sotzbacher Mädchen   saß im Aufenthaltsraum und war beleidigt. Alwis hatten sie fortgeholt und ins Bett gebracht. Frau Sturm war verschwunden. Frau Eulert? Sie konnte sich nicht erinnern. Hatte man sie schließlich ganz alleine gelassen. Kümmerte sich denn niemand um sie? Gar niemand. Sie nahm ihren Stock und stemmte sich hoch, es musste doch noch irgendwo einer unterwegs sein, eine Schwester, irgendeine Menschenseele. Sie konnten doch nicht alle schon in ihre Zimmer gehen, wer war denn um die Zeit schon müde, sie, das Sotzbacher Mädchen, jedenfalls nicht. Nicht um fünf Uhr nachmittags.
    Sie überlegte einen Augenblick und dann wusste sie nicht mehr, was sie eigentlich überlegt hatte. Wieso war sie hier alleine und wo war sie eigentlich? Tapfer nahm das Sotzbacher Mädchen seinen Stock und wackelte durch den Flur, eierte schön mit ihrem runden Entenpo, und sie betrachtete Tür um Tür. Auf jeder Tür klebte ein Foto mit einem Gesicht darauf. Bei zwei Fotos waren es sogar Fassenachtsgesichter mit Hüten. Wie albern. Das Sotzbacher Mädchen überlegte: Hatte sie diese Menschen schon mal gesehen? Sie konnte sich nicht entsinnen. Sie konnte sich eigentlich nur die Schwestern merken. Sobald eine vorüberrauschte, versuchte sie sie am Zipfel festzuhalten, aber die Schwestern hatten immer keine Zeit, sie rauschten durch den Gang, als hätten sie Rollschuhe an den Füßen.
    Was war da eigentlich mit ihrem Mund? Sie tastete mit dem Finger am nackten Oberkiefer entlang, wie bei einem Baby, wie früher ihre Kleinen, wenn sie an der Brust nuckelten. Ja. An dieser Brust hatten sie alle genuckelt -und was hatte sie noch für eine schöne Brust, und das mit 86 Jahren. Überhaupt hatte sie noch einen sehr schönen Körper. Das sagte jeder, auch der Arzt, der besonders.
    Nur die Zähne fehlten, wo waren sie nur? Sie musste doch ihre Zähne holen. Das Sotzbacher Mädchen überlegte nicht lang, aufs Geratewohl drückte sie eine Türklinke herunter und geriet in einen kleinen Flur mit einer Spüle und einem Kleiderschrank, daneben waren zwei Türen, eine führte ins Bad. Da stand doch … da stand ein hübsches Plastikdöslein neben einer Großpackung Kukident, das war doch, das war doch: ja sicher! Da lagen Zähne drin! Da ruhten sie, rosig und weiß in schimmernder Lauge mit lauter kleinen Bläschen!
    Sie nahm das Gebiss aus der Dose und betrachtete es freudig von allen Seiten. Dann hielt sie einen Moment inne. Irgendetwas sagte ihr, dass dieses Zimmer vielleicht doch nicht ihr eigenes Zimmer war, dass sie hier vielleicht doch nicht hingehörte, wer weiß, wer weiß, jedenfalls hatte sie das Gebiss und das war die Hauptsache und sie stopfte es blitzschnell in ihre Handtasche. Gut gelaunt kehrte sie zurück auf den Flur, endlich, endlich, sie hatte wieder Zähne! Jetzt wollte sie sich gerne mit irgend-jemandem unterhalten. War denn hier kein Mensch?
    Oh, da kam ihr von der anderen Station die Frau Dings entgegen, eine, … so eine feine Dame in einem vornehmen Hausanzug, blau mit roten Borten, mit so schönen Hausschuhen, die glänzten schon von weitem, wer war denn

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