Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
auch?«
»Klingt ein bisschen… ausschweifend für einen Erlöser«, bemerkte IdrisPukke.
»Sie können sehr großzügig sein, wenn es um ihr eigenes Wohl geht. Niemand findet sich gern damit ab, vor Schmerzen zu sterben, wenn es nicht sein muss. Und mit dem, was hundertsechzig Männer bei sich führen, können wir ihn zukiffen bis zum Gehtnichtmehr. Wir haben den Pfeilschaft herausgezogen, aber er brach ab, und die Spitze steckt wirklich tief.«
Schließlich konnte IdrisPukke Cale überzeugen, dass es besser sei, Vague Henri nach Spanish Leeds zu bringen, während er sich um einen Chirurgen bemühte. Cale ließ einen seiner zwei Wagen mit Proviant für zwei Tage für die Purgatoren beladen und schickte ihn zu ihrem Lagerplatz in einem ungefähr zwanzig Meilen entfernt liegenden Wald, zusammen mit den beiden Purgatoren, die Henri bewacht hatten. Er selbst und Hooke, der sich für einen verkappten Arzt hielt, kehrten mit dem fast bewusstlosen Henri auf dem anderen Wagen nach Spanish Leeds zurück. Solange sie ihn von seinen gelegentlichen Schreien abhalten konnten, hatten sie eine gute Chance, unbemerkt in die Stadt zu gelangen. Die Grenzer mochten nervös gewesen sein, aber auch in der Stadt waren die Leute sehr aufmerksam: Die Händler, die diese Stadt reich gemacht hatten, hielten nichts davon, wenn ihre Kundschaft beim Einkaufen gestört wurde oder wenn die Behörden plötzlich ihre Nasen in Dinge steckten, die sie nichts angingen. Deshalb verabreichte Hooke Henri eine weitere kräftige Dosis Opium, um ihn zu beruhigen, und versteckte ihn unter einem Berg Decken. Ohne Zwischenfälle gelangten sie in die Stadt, und bald schnarchte Vague Henri in Viponds Schlafzimmer, während er von einem Chirurgen untersucht wurde, dem bei der ganzen Sache höchst unwohl zu Mute war. Der Mann hieß John Bradmore, und IdrisPukke hatte ihn bestechen müssen, damit er Henri untersuchte und seine Diagnose stellte.
Der Arzt brauchte volle zwanzig Minuten für die Untersuchung, deren Ergebnisse er einem Sekretär diktierte.
»Der Pfeil ist direkt unter dem Auge in das Gesicht des Patienten gedrungen.« Er tastete Henris Nacken an einer Seite ab. Henri stöhnte auf. »Glücklicherweise handelt es sich, wie ich glaube, um eine schmale Pfeilspitze vom Typ Bodkin– vielleicht fünf oder sechs Zoll lang. Äh… keine Frage, dass wir sie nicht durch die Wunde herausstoßen können– wir würden das halbe Gehirn mitnehmen.« Er schnüffelte und verzog das Gesicht. »Auch noch dicht neben der Halsader. Sehr schwierig.« Wieder tastete und drückte er drei oder vier Minuten lang um die Wunde herum, anscheinend ohne auf die ständigen Schmerzensschreie des armen Henri zu achten. Er diktierte ein paar weitere Bemerkungen, dann wandte er sich an IdrisPukke.
»Was hat Euch Painter gesagt?«
»Wie bitte?«, versuchte IdrisPukke auszuweichen.
»Ich weiß, dass Ihr ihn bereits konsultiert habt. Außerdem weiß ich ohnehin, was er gesagt hat. Er meinte, die Wunde solle bis zu vierzehn Tage lang offen bleiben, dann werde die Pfeilspitze durch den Eiter gelockert. Richtig?«
IdrisPukke zuckte die Schultern.
»Das wird auch funktionieren, wenn sich die Wunde erst einmal mit Eiter füllt, lässt sich die Pfeilspitze ziemlich leicht herausholen. Dabei wird er allerdings sterben– langsam an Blutvergiftung oder ziemlich schnell, wenn beim Herausziehen des Pfeils die Halsader aufgerissen wird.« Bradmore seufzte. »Die Sache ist wirklich sehr schwierig, versteht Ihr. Die Pfeilspitze sitzt fest gegen den Knochen gepresst. Die Frage ist, ob man die Spitze zu fassen bekommt, aber sie ist zu tief im Schädel und sitzt zu fest. Deshalb möchte Painter die Wunde erst vereitern lassen, um sie herausholen zu können.«
»Und Ihr– was schlagt Ihr vor?«
»Jedenfalls nicht das. Die Wunde muss gereinigt werden, und zwar tief. Die Infektion hat bereits begonnen. Sie muss verhindert werden, während ich nach einer Möglichkeit suche, wie man die Pfeilspitze packen kann.«
Das kurze Schweigen wurde schließlich von Hooke unterbrochen, der unbemerkt hereingekommen war und im Hintergrund stand.
»Ich glaube, ich kann dabei helfen.«
Vague Henri stöhnte laut auf. Es klang allerdings nicht wie ein Schmerzensschrei, sondern eher wie heftiges Protestgeheul. Leider wirkten die Wunde und das Opium so, dass kein Mensch auch nur ein Wort verstehen konnte.
SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
W
ährend Vague Henri möglicherweise seinen Unwillen bekundete, sein
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