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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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ihre Verfolgung aufgenommen hatten. So schworen sie den Toten, bald zurückzukehren, und schleppten sich, so schnell sie noch gehen konnten, davon.

ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL
     

    F
ür Mediziner, die einander bekanntlich immer verdächtigten, sich gegenseitig die Heilmethoden abzuschauen, war es höchst ungewöhnlich, dass sich Hooke und Bradmore von Anfang an prächtig verstanden, was auch daran liegen mochte, dass sich ihre jeweiligen Fähigkeiten sehr gut ergänzten. Beiden war klar, dass die Wunde ein wenig verbreitert werden musste, um Hookes Idee zu ermöglichen. Denn Hooke wollte eine hohle Zange mit nach außen gerichteten Spitzen in der Breite des Pfeils konstruieren. Die Zange würde in die Wunde eingeführt und in den hohlen Kopf der Metallpfeilspitze geschoben. Dann würde man mittels einer an der Spitze der Zange angebrachten kleinen Schraube die Zange spreizen, bis sie fest in der Pfeilspitze saß. Auf diese Weise würde man dann die Pfeilspitze auf demselben Weg herausholen, auf dem sie in den Schädel gedrungen war. Während Hooke sich auf den Weg zu einer Schmiede machte, um dieses feine, winzige Instrument anzufertigen, machte sich Bradmore daran, die Wunde zu verbreitern, um sie für die Einführung der Zange vorzubereiten. Dafür stellte er zuerst ein paar Versuchsbolzen aus Holunderholz in der Stärke des Pfeils her, trocknete sie und wickelte sie sodann in mit Rosenhonig getränktes Leinen, um eine Infektion zu vermeiden. Er begann mit dem kürzesten und kleinsten Versuchsbolzen und führte dann immer größere Bolzen ein, bis er sicher war, dass er den Einschusskanal bis zur Pfeilspitze freigelegt hatte. Der entsetzlich schmerzhafte Prozess dauerte drei Tage, und am letzten Tag endlich brachte Hooke sein Instrument, das er zwar nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum konstruiert hatte, bei dem er sich aber nun sicher fühlte, dass es seine Funktion erfüllen würde. Er führte das Instrument im selben Winkel in Vague Henris Wunde ein, in dem der Pfeil eingedrungen war, und schob es sehr behutsam sechs Zoll weit hinein, bis die Zangenspitze in den unteren Rand der Pfeilspitze eingedrungen war. Allerdings mussten sie dafür mit der Zange eine ganze Weile in der Wunde herumtasten. Schließlich saß sie jedoch an der richtigen Stelle, und Hooke begann, sehr langsam die kleine Schraube am äußeren Ende der Zange zu drehen, wobei er hoffte, dass sich die Zinken so spreizen würden, wie es nötig war, um die Pfeilspitze fest packen und herausziehen zu können.
    Schließlich konnten sie die Zange ein wenig hin und her bewegen, bis sich die Pfeilspitze etwas gelockert hatte, um den abscheulichen Pfeil dann äußerst behutsam aus Henris Gesicht zu ziehen. Über die Schmerzen, die der arme Junge bei diesem Prozess zu erdulden hatte, lässt sich nur eins mit Bestimmtheit sagen: Das Opium ist noch nicht gewachsen, das solche Schmerzen hätte betäuben können.
    Und Henris Leidenszeit war noch nicht vorüber. Die größte Gefahr einer solchen Wunde war das entsetzliche Infektionsrisiko, doch auf diesem Gebiet war Bradmore ein großes Genie. Als die Pfeilspitze erst einmal heraus war– und groß genug sah sie aus, wie sie dort auf dem Teller lag–, nahm Bradmore eine Wundspritze, füllte sie mit Weißwein und säuberte damit die Wunde. Schließlich schob er einen Pfriem aus Flachs hinein, den er mit einem Gemisch aus Brot, Terpentin und Honig getränkt hatte. Der Pfriem blieb einen Tag lang in der Wunde und wurde dann zwanzig Tage lang jeden Morgen durch immer kürzere Flachspfriemen ersetzt. Schließlich bedeckte er die Wunde mit einer dunklen Wundsalbe, die er Unguetum Fuscum nannte und über deren Zubereitung er nichts sagen wollte. Als diese Behandlung vorbei war, hatte die Hölle für Vague Henri viel von ihrem Schrecken verloren.
    Bradmore war entsetzt gewesen, als er bemerkte, in welchen Mengen Cale Henri Opium verabreicht hatte, und hatte verlangt, dass Cale ihm das Opium aushändigte, bevor er Henri vollends damit umbrachte, nicht zuletzt deshalb, weil Henri gewissermaßen explodieren könne. Denn das Opium hatte bei Henri furchtbare Verstopfung verursacht. Cale verbrachte so viel Zeit wie möglich am Bett seines Freundes, der allerdings zu große Schmerzen hatte, um ihm antworten zu können, und außerdem trotz der verringerten Dosis Opium, die Bradmore ihm verabreichte, stark halluzinierte. Schließlich schickte Bradmore Cale auf den Markt, der fast so berühmt war wie der Markt im früheren

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