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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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dafür sorgen, dass sie echte Tränen vergießen.«
    Aber was beide Männer wirklich beschäftigte, war nicht die Papstwahl, über deren Ausgang beide keine Zweifel hegten, sondern Thomas Cale. Noch vor ein paar Tagen hätte Gil angeboten, den verräterischen kleinen Scheißer bis zur letzten Ecke der Vier Quadranten zu verfolgen und noch viel weiter, um dem undankbaren Lümmel dort mit größter Befriedigung das Herz aus dem Leib zu reißen und ihm damit den Todesschweiß von der Stirn zu wischen.
    Nun allerdings schien sein alter Meister zu stolz geworden zu sein, um noch auf seinen Rat zu hören. Trotzdem konnte er der Versuchung nicht widerstehen, noch ein wenig Salz in Boscos Wunden zu reiben.
    »Was möchtet Ihr, dass mit Cale geschehen soll?«
    Ohne Gil anzuschauen, antwortete Bosco leise: »Nichts. Überlassen wir ihn dem Himmel. Unser Vater hat ihn mit unsichtbarem Haken und langer Leine gefangen, lang genug, um ihn bis zum Ende der Welt wandern zu lassen und ihn dennoch jederzeit wieder mit einem leisen Ruck an der Leine zurückholen zu können.«
    Das glaubst nur du, hätte Bruder Gil beinahe gesagt. Seiner Meinung nach würde keiner von ihnen beiden Cale jemals wiedersehen, jedenfalls nicht außerhalb eines Grabes, und wenn sie so lange lebten wie Methusalem. Oder nur, wenn Cale wieder neues Unheil über sie brachte.
    Jemand hämmerte laut an die Tür, als würde der Klopfende vom leibhaftigen Teufel verfolgt. »Bruder Bosco! Bruder Bosco! Öffnet die Tür!«
    Es war nicht so einfach, Bosco durch sechs Zoll massives Eichenholz hindurch aufzuschrecken, aber offenbar befand sich der unbekannte Ankömmling vor der Tür in höchster Verwirrung und Angst. Bosco gab Gil ein Zeichen, den das Entsetzen in der Stimme des Klopfenden ebenfalls aufgeschreckt hatte, sodass er mit der einen Hand die Tür öffnete, die andere jedoch an den Griff seines Dolches legte. Er riss die Tür auf und trat schnell zurück.
    Zuerst erkannte er den Mann kaum, so verzerrt waren dessen Gesichtszüge vor Angst und Staunen.
    »Was um Himmels willen ist los? Du bist Burdett, nicht wahr?«
    »Ja, Herr«, stotterte der verängstigte Mönch.
    »Beruhig dich.« Gil wandte sich an Bosco. »Der Bruder hier ist für die Vorbereitung des Beerdigungsrituals zuständig.«
    »Monsignore«, begann Burdett. Das alles war offensichtlich zu viel für ihn. Er begann so heftig zu keuchen, dass es sich wie das Schluchzen eines Kindes anhörte.
    »Reiß dich zusammen, Bruder«, sagte Bosco leise. »Wir warten, bis du wieder sprechen kannst.«
    Burdett starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen und wie am Erdboden zerstört an. »Ihr müsst mit mir kommen, Monsignore.«
    Bosco wurde klar, dass sie aus dem zutiefst verwirrten Mann kein vernünftiges Wort mehr herausholen konnten. Er befahl ihm vorauszugehen. Schweigend folgten sie ihm, aber auch Gil und Bosco fühlten sich nun, als schlüge ihnen jemand mit einem Hammer, keineswegs aus Silber, auf den Schädel. Nur das gelegentliche Schluchzen des verstörten Mönchs durchbrach das Schweigen. Er führte sie tief in den Keller der großen Kathedrale. In weniger als fünf Minuten gelangten sie in einen unterirdischen Komplex, von dessen Existenz sie nichts geahnt hatten, hässlich, öde und braungrau, mit endlosen schmalen Fluren, die vom düster beleuchteten Hauptgang irgendwo in die riesige Dunkelheit führten.
    Nach ein paar Minuten blieb Burdett vor einer dunkelviolett gestrichenen Tür stehen und öffnete sie, ohne anzuklopfen. Er hielt den beiden Männern die Tür auf, deren Anwesenheit ihn mit jeder Minute mit noch größerer Angst zu erfüllen schien. Beide waren daran gewöhnt, dass andere in ihrer Gegenwart Angst empfanden, aber in der Furcht dieses Mannes lag etwas Beunruhigendes.
    Misstrauisch und voll banger Erwartung betraten Bosco und Gil den Raum, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was sie hier erwartete, obwohl sie spürten, dass es etwas Katastrophales sein musste. Der Raum war fensterlos, aber mit besten Kerzen erleuchtet, darunter eine, die fast so dick war wie eine Männertaille und die neben etwas stand, das wie ein Bett aussah, aber kein Bett war. Auf dem Balsamiertisch lag der verblichene Papst, bis zum Hals mit einem Leintuch bedeckt. Zu beiden Seiten des Tisches standen die beiden Balsamierer, erkennbar an ihren Schürzen und Handschuhen und an ihren Gesichtern, die die gelbliche Farbe von altem Elfenbein hatten und in denen dieselbe ungewöhnliche Verängstigung lag, die

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