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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Leben in die Hände eines Mannes zu legen, zu dem er absolut kein Vertrauen hatte, kämpfte auch Kleist in den Bergen um sein Überleben, zusammen mit weniger als hundert übrig gebliebenen Klephts.
    Die Erlöserkrieger, die alle Alten, Frauen und Kinder im Flüchtlingstreck der Klephts ermordet hatten, waren in das Gebirge zurückgekehrt und griffen nun die Klephts in der Lydon-Schlucht von hinten an. Die Klephts konnten weder nach vorn noch zurück und erlitten immer höhere Verluste. Die Erlöser wiederum hatten es nicht eilig; sie schossen die Klephts mit Bolzen oder Pfeilen ab und unternahmen in schwerer Rüstung Vorstöße, die nur ein paar Minuten andauerten, aber bei den Klephts hohe Verluste verursachten. Sie würden höchstens noch zwei Tage benötigen, um die Sache zu Ende zu bringen, ohne selbst noch weitere Verluste zu erleiden. Doch dann begingen die vom Massaker zurückgekehrten Erlöser den Fehler, dass sie ihren Kameraden auf der anderen Seite der Schlucht in der Nacht zubrüllten, was sie erst vor drei Tagen mit den Frauen und Kindern der Klephts gemacht hatten. Manchmal kann man einen Mann mit der Aussicht auf Freiheit, Sicherheit oder Rückkehr zur geliebten Familie zum Kampf anstacheln; manchmal kann es aber auch sinnvoll sein, ihn zur Verzweiflung zu treiben, um seinen Kampfeswillen zu stärken. Die Klephts unterschieden sich von allen anderen Menschen vor allem durch ihre Einstellung zum Opfermut, oder vielmehr der Selbstopferung. Durch ihr furchtbares triumphierendes Geschrei entrissen die Erlösermönche den Klephts unwissentlich auch noch den letzten Rest Hoffnung, die ihnen in dieser Lage mehr bedeutet hatte als alles andere. Denn die Verzweiflung fegte die größte Schwäche hinweg, die sie als Krieger hatten – dass sie zwar bereit waren zu töten, aber keinesfalls selbst ihr Leben aufs Spiel setzen wollten.
    Kleist selbst stürzte das Triumphgeschrei der Erlöser in furchtbare Verwirrung, da er die Mönche kannte und wusste, wie gern sie Lügen als Waffe gegen den Feind einsetzten. So quälte ihn die Hoffnung, dass seine Frau und sein ungeborenes Kind noch am Leben sein könnten. Doch dies war nicht die Stunde, den Klephts neue Hoffnung zu geben, denn jetzt nutzte ihnen nur noch die absolute Überzeugung, dass es nichts mehr auf der Welt gab, wofür es sich lohnte zu leben. Er konnte sie davon abhalten, sich blindlings auf die Erlöser zu stürzen, und überredete sie, bis zum Tagesanbruch zu warten und sie dann nach seinen Anweisungen so anzugreifen, dass sie die größtmöglichen Verluste erlitten. Die Spottreden und Witze, die vom Belagerungsring der Erlöser zu ihnen schallten, wirkten tatsächlich wie eine Art Predigt, denn sie machten die Klephts nur noch entschlossener, unter den Mönchen das größtmögliche Blutbad anzurichten, auch wenn sie selbst dabei umkamen. Kleist wusste, dass die Klephts verloren waren, aber er hatte sein Bestes gegeben und hatte nicht vor, selbst mit ihnen unterzugehen. Er hatte getan, was er konnte, hatte jedoch die feste Absicht, den Angriff zu nutzen, um sich selbst durch die Reihen der Feinde zu schlagen und herauszufinden, ob seine Frau tot war oder nicht. Für ihn würde das Leben hier, an diesem gottverlassenen Ort im Gebirge, nicht zu Ende gehen.
    Kleist versammelte die neunzig Überlebenden um sich und zeichnete mit einem Kalkstein eine Karte auf den felsigen Boden. Ihre Lage war einfach zu beschreiben: Sie saßen in einem Gebirgspass fest, der ungefähr hundert Schritt breit und auf den Seiten mit steilen Felsen umgeben war. Die Erlösermönche hielten in ungefähr gleicher Mannstärke die beiden Ausgänge besetzt.
    »Wir greifen die Erlöser an, die von der Ebene zurückgekehrt sind. Das sind doch die Männer, die wir erledigen wollen, oder nicht?«
    Ringsum nickten alle.
    »Meiner Meinung nach müssen wir versuchen, ihre Stellung auf beiden Seiten mit zwei Keilen aufzubrechen. Dann schlagen wir uns durch und treffen hinter ihren Linien wieder zusammen. Das wird uns wahrscheinlich nicht gelingen, aber auf diese Weise werden wir möglichst viele von ihnen töten können. Sollten wir uns tatsächlich wieder vereinigen, haben wir die Erlöser vor uns. Wenn uns das gelingt, wird es für sie sehr viel schwerer sein.« Sein Plan war vermutlich völlig aussichtslos – selbst in seinen Ohren klang er ausgesprochen dünn –, aber Schnelligkeit, der Überraschungseffekt und die neue Verzweiflung der Klephts mochten ausreichen, um sich tatsächlich

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