Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
diesem Augenblick kleinliche und irgendwie banale Gedanken durch den Kopf.
Er fragte sich, ob es stimmte, dass es im Inneren Bezirk jeden Tag frisches Brot gab. Er fragte sich auch, ob sie die Zwiebelsuppe schön dick machten und ob man ihm jetzt, da er oberster Kommandant war, auch zwei Näpfe voll geben würde.
Rankstrail hatte seine Hand auf Auroras Nacken liegen und fühlte ihr seidenweiches Haar unter seiner rauen Handfläche. Zum zweiten Mal in seinem Leben, seitdem er als Kind hinter dem Sarg seiner Mutter gegangen war, traten ihm Tränen in die Augen. Yorsh hatte geweint, als er sein verzweifeltes Töchterchen im Arm hielt. Rankstrail schämte sich in Grund und Boden für diese Tränen und zugleich schämte er sich überhaupt nicht. Er ließ zu, dass Aurora sie bemerkte, die er weiter an sich gedrückt hielt, vor den Blicken der anderen geschützt durch die Brüstung der schmalen Treppe.
Nichts auf der Welt stand für ihn so unumstößlich fest wie dies: Sie waren füreinander da, gehörten einander an, zwei, die das Schattenreich durchquert und sich endlich gefunden hatten. Und sie beide – wer, wenn nicht sie? – würden der Welt das Licht bringen, das ihr fehlte. Auroras Weinen war still, rein und befreiend, es hielt lang an und ließ allmählich nach.
Rankstrail dachte, dass sie beide zusammen es schaffen würden, eine Welt zu errichten, in der sich niemand mehr für das Blut schämen musste, das in seinen Adern floss. Das Schlimme war dieser Ork-Anteil: das Ungeliebtsein als Kind, das für sich selbst Nichtssein, dieses Existieren nur als Teil eines Heeres. Sie würden aus den Orks ein Volk machen, das Größe und Würde zu erkennen und zu achten wusste und wo jeder stolz sein konnte auf sein Sosein.
Das Volk der Orks konnte seine finsteren und grausamen Gottheiten vergessen, die es in dem Glauben gelassen hatten, ihre einzige Fähigkeit und Größe läge in den Waffen. Sie würden wiederentdecken, dass ihnen nichts verschlossen war. Nach ihm würde sich niemand mehr für sein Blut schämen müssen. Er würde der Letzte sein. Nach ihm würde es keine Orks mehr geben.
Die Orks waren auch sein Volk. Ob er wollte oder nicht, er trug auch ihr Blut in sich. Er war dafür verantwortlich. Er musste die Macht der Waffen und die der Diplomatie gleichzeitig nutzen. Er musste der mächtigste der Orks werden, um den Teufelskreis von Barbarei und Grausamkeit zu durchbrechen, in dem sie seit Jahrhunderten gefangen waren, und ihrer einstigen Größe eine strahlende Zukunft eröffnen.
Aurora hatte aufgehört zu weinen.
Offensichtlich suchte sie etwas, um sich zu schnäuzen und sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Rankstrail gab es ihr, und beide mussten kurz lachen, als Aurora den Leinenschal wiedererkannte, mit dem sie ihn seinerzeit verbunden hatte. Er war nicht mehr sonderlich weiß, erfüllte aber seinen Zweck. Aurora hielt ihn vors Gesicht, trocknete sich Wangen und Augen, putzte sich die Nase, und endlich lächelte sie.
»Wir«, sagte Rankstrail und verstummte sofort wieder. Er wollte sagen: »Wir, Ihr und ich, werden für Gerechtigkeit sorgen«, doch ihm wurde klar, dass, so grausam ein Vater auch gewesen sein mag, es nicht an seinen Kindern ist, für Gerechtigkeit zu sorgen, sondern dass das die Aufgabe von anderen ist. Er korrigierte sich also: »Wir, die Königin-Hexe und ich werden für Gerechtigkeit sorgen. Für alle.«
Sie würden für Gerechtigkeit sorgen.
Alyil, die unzugängliche Falkenstadt, musste mit Sicherheit einen Zugang haben, und man durfte sie nicht allein lassen mit einem Verrückten, umgeben von fünfzehn Henkern.
Rankstrail beugte sich hinunter und küsste Aurora auf die Wange, dann küsste er ihr die Hand und schließlich streifte er ihre Lippen mit den seinen. Endlich ließ er sie gehen.
Die Nachricht von der Hochzeit verbreitete sich in Windeseile und löste bei den Soldaten große Freude aus. Die Vorstellung, dass der junge Kommandant ihrer Stadt und ihrer Armee die Kriegerin aus Daligar heiraten sollte, die den Mut eines Löwen besaß und schön war wie der Frühlingshimmel, entfachte ihre Begeisterung.
Von allen guten Vorzeichen war das bestimmt das allerbeste und froheste. Außerdem war es die Hochzeit mit einer der höchstgeborenen Damen der Aristokratie von Daligar, mit der Prinzessin der Grafschaft, und das gab dem jungen Kommandanten noch mehr Ansehen und Macht; er selbst gehörte nicht der Aristokratie an, würde sie aber befehligen.
Hauptmann
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