Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Vor seinen Augen dehnte sich die Ebene bis zu den Dunklen Bergen. An den Krieg erinnerten am Horizont noch die Lagerfeuer der Orks und die Reihe von Lanzen mit den Köpfen der Feinde darauf.
»Das schreckt sie«, versuchte der Führer der Soldaten, der zu seinem Empfang herbeigeeilt war, eine Erklärung. »Die Orks, meine ich. In einer alten Chronik haben wir gelesen, Geköpftwerden macht ihnen Angst, weil sie glauben, sie müssen dann auch im Reich des Todes ohne Kopf sein. Das ist das Einzige, was sie schreckt.«
Rankstrail entließ ihn und sah lang auf die Feuer der Orklager in der Ferne und auf die Piken unter ihm, dann ließ er die beiden Statthalter rufen.
Er kündigte an, dass sie am nächsten Tag angreifen würden, um die Reisfelder zu befreien, und bat, die Waffen zu überprüfen und eine ausreichende Zahl Pfeile verteilen zu lassen. Er befahl, alle stählernen Harnische durch die Plattenpanzer der Leichten Kavallerie ersetzen zu lassen, weil sie größere Beweglichkeit erlaubten, in der Sonne nicht glänzten und dadurch die Pfeile nicht auf sich zogen. Er befahl, die Köpfe der Orks, die am Eingang der Stadt noch auf Lanzen steckten, zu entfernen, die Leichen so gut wie möglich zusammenzusetzen und zu bestatten. Er gab den Befehl, verletzte oder gefangene Orks nicht zu töten, sondern als Gefangene zu nehmen, und schließlich befahl er, die unterirdischen Verliese, die zwischen den Brunnen im Inneren Bezirk der Stadt lagen, wieder zu öffnen und dafür zu sorgen, dass dort reichlich frisches Wasser und Verbandsmaterial für die Verwundeten vorhanden waren.
Ein Schweigen trat ein, so kalt und scharf wie eine Schwertklinge.
Der jüngere der beiden Statthalter, ein hochgewachsener Mann mit dichtem braunem Bart, sah ihn aus stahlblauen Augen an, die vor Enttäuschung und Groll funkelten.
»Die Orks haben meine gesamte Familie ausgelöscht, Herr«, sagte er schließlich. »Einer meiner Söhne irrt nun durch das Reich des Todes, in das er vor mir eingegangen ist, dabei war er noch ein Kind. Die Orks haben mein Haus niedergebrannt. Jedes Mal wenn ich die Augen schließe, höre ich die Schreie, die damals erklangen, und ich weiß, kein Mensch kann lang genug leben, um sie je zu vergessen.«
Rankstrail sah den Mann lang an, bevor er antwortete. Es war, als suchte er nach Worten. Endlich hatte er sie gefunden.
»Es gibt, glaube ich, keinen schlimmeren Schmerz auf Erden als den eines Vaters oder einer Mutter, wenn sie sehen müssen, wie ihr Kind ihnen ins Grab vorangeht. Ich habe selbst gesehen, was die Orks meinen Leuten zugefügt haben, meiner Familie; erlaubt mir daher, ich bitte Euch, wie ein Bruder zu Euch zu sprechen.« Der Hauptmann hielt inne, holte Luft, dann sprach er weiter. »Dein Schmerz ist mein Schmerz«, sagte er zu dem Mann. »Wenn im Tausch für mein Leben dein Kind wieder lebendig würde, ich gäbe es hin. Wenn im Tausch für meine Hand dein Schmerz gelindert würde, ich ließe sie mir abhacken, ich schwöre es dir. Dein Kind ist nicht allein im Reich der Toten, denn alle Vorfahren, die uns vorausgegangen sind, haben es dort in Empfang genommen und getröstet, und sobald wir selbst auf die andere Seite des Windes hinübergehen, sehen wir, wie es uns entgegengelaufen kommt auf den unendlichen Wiesen und unter grenzenlosen Himmeln, wo die Sterne auch bei Sonnenschein leuchten. Ich werde Anweisung geben, dass zum Jahrestag seines Todes Fackeln und Blumen den Ort schmücken sollen, an dem es sein Leben verlieren musste. Nun gebe ich Befehl, für gefallene Orks ordentliche Gruben auszuheben und für die, die wir gefangen nehmen, Orte herzurichten, wo sie überleben können und sauberes Wasser haben.«
»Herr«, sagte der ältere der beiden Statthalter, ein etwas gebückter Mann mit grauweißem Bart, »das sind Orks.«
»Wir aber nicht«, entgegnete Rankstrail.
Kapitel 28
Rankstrail setzte sich auf die Brüstung des Festungswalls. Der Jasmin blühte und erfüllte die Luft der Spätsommernacht mit seinem herbsüßen, schweren Duft. In der Ferne über Daligar hingen dicke Wolken und bald würde der Regen die Hitze vertreiben, über Varil aber war der Himmel noch klar.
Am nächsten Tag würde er den Angriff eröffnen und die Ebene von Varil endgültig für das Volk der Menschen zurückerobern.
Er hätte nicht schlafen können und versuchte es auch gar nicht.
Der Schmerz seines Statthalters und die Erzählung seines Vaters geisterten ihm durch den Kopf wie ein Schwarm aufgescheuchter
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