Die letzten ihrer Art
Baiji, der Yangtse-Delphin.
»Wie stehen eigentlich unsere Chancen, einen Delphin zu finden?« fragte ich Mark.
»Ich habe nicht den blassesten Schimmer«, sagte er. »Es ist sehr schwierig, aus China Informationen, egal, worüber zu bekommen, und was man bekommt, ist meistens verwirrend. Aber man findet die Delphine – oder auch nicht – nur in ein paar Abschnitten des Yangtse. Hauptsächlich in einem etwa zweihundert Kilometer langen Stück, das bei einer Stadt namens Tongling liegt, in der Provinz Anhui. Dort arbeiten Leute an der Rettung des Baiji, und dort liegt unser eigentliches Ziel. Nach Tongling kommen wir mit dem Boot, von Nanking aus, wo ein gewisser Professor Zhou lebt, ein Delphin-Experte. Nach Nanking kommen wir per Zug, von Shanghai aus. Nach Shanghai kommen wir mit dem Flugzeug, von Peking aus. Wir haben erst mal ein paar Tage in Peking, um uns zu akklimatisieren und herauszufinden, ob uns unsere Reisearrangements eigentlich etwas nützen. Wir müssen ein paar tausend Meilen zurücklegen, und Reisen gilt hierzulande als irrwitzig schwierige Sache.«
»Bleibt uns viel Spielraum, wenn irgendwas schiefgeht?« fragte ich. »Wann erwarten Professor Zhou und die anderen uns denn ungefähr?«
»Uns erwarten?« sagte Mark. »Was meinst du? Die haben noch nie von uns gehört. Man kann mit niemandem in China Kontakt aufnehmen. Wenn wir Glück haben, finden wir sie, und wenn wir noch etwas mehr Glück haben, sind sie sogar bereit, mit uns zu reden. Ich bin nicht mal ganz sicher, daß sie überhaupt existieren. Wir betreten echtes Neuland.«
Wir sahen beide aus dem Fenster. Dunkelheit senkte sich über die bevölkerungsreichste Nation auf Erden.
»Jetzt ist nur noch eine Flasche übrig, Sir«, raunte mir der Steward in diesem Augenblick zu. »Möchten Sie die noch haben, bevor wir den zollfreien Verkauf beenden? Damit hätten Sie dann die gesamte Kollektion.«
Es war schon ziemlich spät, als der klapprige Kleinbus uns abends vor unserem Hotel am Stadtrand von Peking absetzte. Zumindest glaube ich, daß es der Stadtrand war. Es gab keinen Anhaltspunkt, der die nähere Bestimmung der Umgebung erlaubt hätte. Die Straßen waren breit und von Bäumen gesäumt, aber schaurig still. Jedes motorisierte Fahrzeug verursachte ein einsames, ausgeprägtes Knurren, statt in einem allgemeinen Verkehrsbrummen unterzugehen. Da die Straßenlaternen aus nichts weiter als nackten Glühbirnen bestanden, hob das harte Licht jedes Blatt und jeden Ast heraus und warf klare Schatten an die Häuserwände. Vorbeifahrende Radfahrer bewegten sich inmitten ihrer vervielfachten, ineinander verwobenen Schatten über die Straße. Das Gefühl, in einem geometrischen Netz gefangen zu sein, wurde durch das Klacken von Billardkugeln verstärkt, die auf kleinen, unter den Laternen aufgebauten Tischen miteinander kollidierten.
Unser Hotel lag inmitten eines engen Gewirrs kleiner Seitenstraßen, und seine Fassade war gefährlich mit geschnitzten roten Drachen und vergoldeten Pagodenformen dekoriert, den wohl bekanntesten China-Klischees. Wir wuchteten unsere mit Kameraausrüstungen, Aufnahmezubehör, Klamotten und Rasierwasser gefüllten Koffer vor die langen, mit geschnitzten Eßstäbchen, Ginseng und Kräuter-Aphrodisiaka beladenen Glasvitrinen in der Hotelhalle und warteten darauf, uns anmelden zu dürfen.
Mir fiel etwas Komisches auf. Eines dieser winzig kleinen, verwirrenden Details, das einem, wie die Wählscheiben in Neuseeland, klarmacht, daß man sich in einem fernen und fremden Land befindet. Ich wußte, daß die Chinesen ihre Tischtennisschläger traditionell so halten wie wir unsere Zigaretten. Was ich nicht gewußt hatte, war, daß sie ihre Zigaretten so halten wie wir unsere Tischtennisschläger.
Unsere Zimmer waren klein. Ich saß auf der Kante meines Bettes, das für einen halb so großen Menschen wie mich bestens geeignet gewesen wäre, und baute meine konsternierende Rasierwasserflaschensammlung ordentlich neben zwei überladen verzierten rotgoldenen Thermosflaschen auf dem Nachttisch auf. Ich überlegte, wie ich sie loswerden sollte. Ich beschloß, das Problem zu überschlafen. Ich hoffte, das würde mir gelingen. Die Mitteilung, die ich im Gästebuch gelesen hatte, ließ Schlimmes ahnen. Da stand: »Um eine friedliche und gemütliche Atmospähre zu gewährleisten, haben Tanzen, Lärm, Streitereien, Handgreiflichkeiten oder exzessiver Alkoholgenuß und das Verursachen von Ruhestörungen in der Öffentlichkeit zu unterbleiben.
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