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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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mich wie hohl, wie leer, wie ausgetrocknet. Meine Augen brannten. Ich versuchte zu schlucken. Die Kehle war mir ausgedörrt.
    »Schläfst du, Judith?« flüsterte ich.
    »Nein«, antwortete sie, »wie könnte ich?«
    Nur Kerstin schnarchte friedlich. Und in der Küche tickte Großmutters alte Wanduhr wie eh und je.
    »Glaubst du, sie sind tot?« fragte ich.
    Aber Judith antwortete nicht mehr.
    Am nächsten Morgen fiel ein schwarzer Regen. Er schwärzte alles, was nicht schon verrußt war. Die Mutter schlief bis zum Mittag. Der Vater ermahnte uns, leise zu sein. Einmal hörten wir sie stöhnen. Der Vater rannte zu ihr ins Zimmer. Sie schlug um sich und schrie wie in Todesangst. Der Vater brauchte lange, bis er sie beruhigt hatte.
    Judith hielt sich die Ohren zu. Ich aber lief zur Mutter hinein und rief: »Und die Großeltern?«
    Da packte mich der Vater und zog mich aus dem Zimmer.
    Ich suchte Judiths Blick, aber sie schaute an mir vorbei. An diesem Tag und auch an den folgenden Tagen ging sie mir aus dem Weg. Sie ging allen aus dem Weg. Sie war »ganz aus dem Gleis«, wie die Großmutter immer gesagt hatte. Ihr grauste vor der Dämmerung, die auch um die Mittagszeit nicht weichen wollte, vor den Rauchschwaden der Waldbrände, vor dem Brandgeruch, der über der Stadt lag, vor den klammen Federbetten und dem Gejammer von Frau Kramer, die ihren Hausrat zu den Mackenhäusers, einer Nachbarsfamilie, hinüberräumte. Daß kein Wasser mehr aus der Leitung floß und der elektrische Strom ausblieb, versetzte sie in eine Wut, die ich bis jetzt an ihr nicht gekannt hatte. Schließlich wollte sie in Großvaters Garten gehen. Dort, hoffte sie wohl, sei die Welt noch in Ordnung. Aber der Garten lag auf dem Fleyenhang. Um dort hinzukommen, hätte sie die ganze Stadt durchqueren müssen. Das erlaubte die Mutter nicht. Da wühlte sich Judith heulend in Großmutters verrußtes Federbett, sprach den ganzen Tag nicht mehr und aß auch nichts. Nur Kerstin durfte zu ihr kommen und sie streicheln.
    Und die Großeltern? Niemand erwähnte sie mehr, keiner von uns fragte nach ihnen. Nur ab und zu schauten Nachbarn oder alte Bekannte von ihnen zum Fenster herein und seufzten bekümmert: »Ich wollte nur mal sehen, ob sie vielleicht nicht doch -? Es hätte ja sein können.« Und: »Ja, ja, sie haben's hinter sich. Sie haben's überstanden. Man sollte sie beneiden. Unser herzlichstes Beileid.«
    Erst ein paar Tage später hörte ich einmal die Mutter zum Vater sagen: »Hoffentlich sind sie gleich im selben Augenblick verglüht.«
    Dazu fiel mir nichts anderes ein als der Draht in einer Glühbirne, der aufglüht und wieder erlischt. Wie aber konnten Menschen verglühen? Ich grübelte darüber nach, ich träumte davon. Für mich lebten die Großeltern in irgendeinem Versteck. Eines Tages würde die Tür aufgehen, und sie würden wieder da sein, und dann wäre das Dach wieder ganz und Frau Kramer wieder in der oberen Wohnung, und all der Spuk wäre weggewischt, als wäre die Bombe nie gefallen.

3
    Schon am Morgen nach dem Bombentag sah ich die ersten Überlebenden aus der Fuldaer Gegend an unseren Fenstern vorüberwanken: aschige, blutige Gestalten, von denen die Fetzen herabhingen. War es Stoff? War es Haut? Ich wagte nicht, genauer hinzuschauen. Zuerst wollte ich Judith rufen, aber dann tat ich es doch nicht. Ihr wurde immer schlecht, wenn sie Blut sah. Ich spürte, daß auch mir übel wurde. Als einer der Vorüberziehenden ganz nah vor dem Fenster »Wasser -!« stöhnte, flüchtete ich in die Küche, die nach hinten lag. Später zog dann die Mutter die Vorhänge nach der Straße hin zu.
    In den ersten Tagen nach der Katastrophe lebten wir, noch halb betäubt, in der Wohnung der Großeltern so recht und schlecht dahin.
    »Nur Geduld«, tröstete uns mein Vater, »das Schlimmste haben wir hinter uns. Die Rettungsorganisationen werden ja bald eintreffen. Sie müssen nur erst die Straßen freiräumen, um rankommen zu können. Bis dahin müssen wir durch einen Engpaß. Aber bald wird sich alles normalisieren.«
    Damit meinte er wohl die Verbindung mit der Außenwelt, die Lebensmittelversorgung, die Unterbringung der Obdachlosen, die Betreuung der Verletzten und all das, was damit zusammenhing. Er ahnte nicht, daß wir gerade noch in den letzten halbwegs normalen Tagen lebten. Die sollten bald vorüber sein.
    Aber vielleicht tat er auch nur so, als ob er nichts ahnte. Denn am dritten Tag ging er zu unserem Wagen hinauf, der immer noch dort stand, wo

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