Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
wir haben es bereits abgestellt. Und zweitens, wenn ich jetzt an Ihr Fenster gehe und gucke nach Malmö, das sind 20 km übers Meer.‹ Man konnte tatsächlich vom Amtszimmer meiner Kollegin aus das Kernkraftwerk Bersebek sehen. Dänemark kaufte zu dem Zeitpunkt 40 Prozent der Elektroenergie aus den schwedischen Atomkraftwerken. Das war also eine sehr scheinheilige Diskussion.«
Die Nationalparkverordnung tritt Mitte September in Kraft. Steinberg bezeichnet sie als das letzte Highlight vor dem 3. Oktober. Fünfzehn Gebiete werden damit, zum Beispiel als Biosphärenreservat, unter den Schutz des Staates gestellt. Das sind vier Prozent des Territoriums der DDR. Die Bundesrepublik hat zu dem Zeitpunkt 0,6 Prozent unter vergleichbarem Schutzstatus. In den Kernzonen der Reservate muss die Natur in ihrer Ursprünglichkeit belassen werden, darf kein Baum gefällt, kein gefallener Baum entfernt werden.
Steinberg muss gegen harte Widerstände kämpfen. Die Landwirtschaft hat kein Interesse an Schutzgebieten. Die Treuhand argumentiert, man würde diese Gebiete aus der wirtschaftlichen Entwicklung ausschließen. Auch Bundesumweltminister Töpfer ist skep tisch. In der Bundesrepublik ist der Naturschutz Ländersache: »Der eigentliche geistige Vater des Projektes, schon zu DDR-Zeiten, war Professor Succow. Er war stellvertretender Umweltminister beim Herrn Modrow, in dieser Übergangsregierung, und er hat das fortgeführt und hat auch später den Alternativen Nobelpreis dafür bekommen. Aber politisch durchgesetzt hat er es nicht, das haben wir. Lothar de Maizière hat letztendlich gesagt: ›Komm, wir machen das. Augen zu und durch!‹ Hat den Staatsminister im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, angewiesen ›Jetzt aber los!‹ Und dann haben wir es innerhalb von zehn Tagen durchgesetzt.« Im Handstreich sozusagen.
»Das hat damals unser Umweltminister phantastisch gemacht«, sagt Klaus Reichenbach. »Ich finde, das hat uns jetzt Riesenchancen eröffnet. Gerade durch diese Parks in den weniger dicht besiedelten Ländern und Regionen wie Brandenburg, und natürlich auch Mecklenburg-Vorpommern, haben diese wieder eine Chance, touristisch etwas zu unternehmen, dort zu profitieren. Der Wegfall dieser Dreckschleudern der ehemaligen DDR-Industrie auf der einen Seite und die Ausweitung der Naturschutzgebiete auf große
28.7.1990, Greifswald / Lubmin, Umwelt minister Karl-Hermann Steinberg legt den Grundstein für ein Ersatzwärmekraftwerk neben dem KKW Greifswald
Flächen ist gleichzeitig eine gute Voraussetzung für das Angehen der aktuellen Probleme wie Klimawandel. Auch die Ansiedlung des Wolfes jetzt in der Lausitz ist ja ein Phänomen. Dass in Deutschland, einem so hoch industrialisierten Land, sich wieder Tiere breitmachen, die schon Jahrzehnte ausgestorben waren, das ist doch phantastisch. Das war das Beste, was man mehr oder weniger leisten konnte als DDR-Regierung.«
Steinberg: »Heute, 20 Jahre später, sind alle happy darüber, das war eine feine Sache. Das sind die Perlen, da ist die Touristik in Gang gekommen, das sind die wirtschaftlich starken Gebiete, die damals als wirtschaftlich nicht entwicklungsfähig galten. Das ist nämlich Attraktion für sehr viele. Das war schon was Feines, und da bin ich stolz drau f.«
15. Den Löffel abgeben
»Als Minister habe ich mehr Kritik erfahren als Zustimmung.«
Herbert Schirmer
Der letzte Kulturminister der DDR heißt Herbert Schirmer, seine Staatssekretärin Gabriele Muschter. Beide kommen aus dem Bereich der bildenden Kunst, arbeiteten in Kunstmuseen und Galerien. Sie kannten sich daher. Bevor Schirmer an die Arbeit geht, räumt er erst einmal sein Ministerbüro auf, schmeißt die »schreckliche Palme« und die »schrecklichen Gardinen« raus und hängt andere Bilder an die Wände.
Eine seiner ersten Amtshandlungen ist ein Versuch, sogenannte Beutekunst aus der Sowjetunion in die DDR zurückzuholen: »Ich hatte die Direktoren der Kunstmuseen nach Berlin eingeladen mit der Bitte, die Kunstwerke, die 1945 und danach in die Sowjetunion verbracht worden sind, aufzulisten, was ja nicht schwer war, denn es gab ja diese Listen. Und wir haben gemeinsam darüber gesprochen, wie wir damit umgehen. Und kurz nach dieser Besprechung habe ich diese Listen zusammengefasst, bin zum Botschafter der Sowjetunion gegangen und habe klar geäußert, dass wir jetzt mal über diese Dinge reden müssen und wie wir damit umgehen in Zukunft. Es war ja ziemlich
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