Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
und Bausoldat Rainer Eppelmann war der Chef der letzten Tagung des Warschauer Vertrages! Und da kam es zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen Herrn Jasow und mir um die Frage, wie sich die Rote Armee in der DDR aufgeführt hat, und zwar im Blick auf ausgekipptes Öl oder Diesel oder so, also die ganzen Umweltsünden und die Umweltschäden, die die Einheiten der sowjetischen Armee in der DDR hervorgerufen haben. Und da hat er sich fürchterlich darüber aufgeregt, dass ich das thematisiert habe! Es hat also offensichtlich mit ihm vorher keiner darüber geredet. Das hat es ja viele, viele Jahre vorher schon gegeben. Und der war sehr unbeherrscht, hat sich die Uniformjacke ausgezogen, tobte richtig und sagte zu mir: ›Vergessen Sie nicht, wer den Zweiten Weltkrieg verloren hat!‹«
Verteidigungsstaatssekretär Werner Ablaß: »Es war schwierig. Unsere Bürgerbewegung war nicht mehr bereit, sich alles gefallen zu
Werner Ablaß,
Staatssekretär im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung
lassen. Und wir wussten nicht, wie die Russen reagieren. Die DDRBürger haben vor sowjetischen Flugplätzen demonstriert. Es gab dann auch Schüsse, wenn auch nur in die Luft, von sowjetischen Wachposten. Wir haben ja mit ihnen ständige Kämpfe auszufechten gehabt. Unkontrollierte Flüge, Nachtflüge und dann auch die Frage, wie gehe ich mit Flugzeugbenzin um? Wir haben ihnen gesagt: ›Es geht nicht mehr, dass ihr mit euren Panzern in den See fahrt! Ihr kommt wieder raus, und dann ist der Panzer sauber, aber der See ist dreckig.‹ Also wir haben versucht, bestimmte Dinge zu erreichen. Wir hatten in diesem Falle Gorbatschow und Schewardnadse auf unserer Seite. Das Militär hat versucht, eine eigene Karte zu spielen, konnte sich aber Gott sei Dank bis zum 3. Oktober nicht durchsetzen.«
Freiwerdende NVA-Truppenübungsplätze, riesige Flächen, zum Beispiel in der Letzlinger Heide, wecken Begehrlichkeiten. Die Bürgerrechtler fordern, alle Zäune abzureißen und den Bürgern ungehinderten Zugang zur Natur zu ermöglichen. Werner Ablaß: »Sechs Wochen später waren die dann wieder bei mir und fragten, ob man die Zäune nicht wieder aufstellen könne, die Touristen würden alles zertrampeln, was da über Jahre gewachsen sei.
Ich hatte damals begonnen, Gebäude an Regine Hildebrandt abzugeben, weil die mir gesagt hat: ›Ablaß, gib mir Kasernen, ich brau che Arbeitsämter!‹ Und dann gab es Begehrlichkeiten von den Briten. Die Briten haben mich über einen Kollegen wissen lassen, ich möge doch auf jeden Fall verhindern, dass bestimmte Plätze abgegeben werden, zum Beispiel die Letzlinger Heide, das wäre so ein wunderschönes Panzerübungsgebiet, und sie würden in der Lüneburger Heide so viel Ärger haben, sie würden lieber dann im Osten üben.«
Der britische Außenminister Douglas Hurd wendet sich mit dieser Bitte an den Ministerpräsidenten. Aber de Maizière bekommt heraus, dass die Engländer selbst nie ausländische Truppen auf ihrem Territorium zugelassen haben. Als er Außenminister Hurd mit dieser Tatsache konfrontiert, ist das Thema vom Tisch.
Das Kernkraftwerk Greifswald wird am 1. Juni auf Beschluss der Regierung stillgelegt. Steinberg: »Ich entsinne mich sehr gut an diese Zeit. Es war nicht so ganz einfach, es waren immerhin 800 Arbeitsplätze damit verbunden, es war ein großer Beitrag zur Energieerzeugung der DDR, der aus diesem Kernkraftwerk kam. Es waren ja immerhin vier 440-Megawatt-Blöcke am Netz, ein fünfter war im Probebetrieb, also fünf waren tatsächlich radioaktiv. Alles zusammen in einer Halle, die 1200 Meter lang war, ohne Trennwände. Ich war persönlich dort, die Belegschaft fuhr mit dem Fahrrad zwischen den Reaktoren hin und her.« Natürlich handelt es sich um ein Kernkraftwerk sowjetischer Bauart. Das Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit listet verschiedene Mängel auf: Das Containment ist zu schwach, der hohe Neutronenfluss kann zur Versprödung der Materialien führen und damit zur Sprödbruchgefahr, es gibt zu wenig Notstromaggregate und anderes.
»Ich war vielleicht 14 Tage später bei meiner dänischen Amtskollegin in Kopenhagen, und die sagte: ›Ach wissen Sie, Herr Kollege, das Kernkraftwerk in Greifswald, da haben wir ja richtig Angst. Wir haben ja in Dänemark keinen Atomstrom, und das ist ja nur
200 km von Kopenhagen entfernt dieses Kraftwerk in Lubmin/ Greifs wald, da müssen Sie etwas tun.‹ Ich antwortete: ›Frau Kollegin,
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