Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
gesättigt, die Produktion in der DDR konnte weitgehend zurückgefahren werden. Und das Abstoßen von Lösungen in die Flüsse, in die Oberflächengewässer, hat aufgehört.
Die Werra war natürlich ein Salzwasserfluss. Das hat man an der Biologie gemerkt. Fischarten, die sonst im Salzwasser leben, die kamen in der Werra vor. Heute ist das ganz anders. Die ist heute nahezu salzfrei.
Auch die festen Abprodukte waren ein Problem. Viele erinnern sich vielleicht an den Silbersee bei Wolfen, nahe Bitterfeld, was von der Umweltseite kein so riesiges Problem war, weil das ein altes Braunkohlentagebaurestloch war, von dem keine allzu große Gefahr ausging, abgesehen von der Geruchsbelastung. Das faulte und stank vor sich hin, es waren dort auch Sulfate reingelangt, die wurden dann reduziert zu Sulfiden, Mercaptane, organische Sulfide, und die stanken wie die Pest. Die sind auch toxisch, aber die Konzentration war so gering, dass keine wirkliche Gefahr davon ausging. Aber das riecht man schon in extrem kleinen Mengen.
Wir hatten viel schlimmere Probleme, wirkliche Probleme für das Grundwasser im Bitterfelder Raum. Die ›Grube Antonie‹ und auch die ›Grube Hermine‹ – das sind alles Namen von den Freundinnen oder Frauen der Ingenieure, die seinerzeit, vor 150 Jahren, diesen Braunkohlentagebau erschlossen hatten –, die sind dann in Verruf geraten: ›Grube Antonie‹ erhält als Schadstoffdeponie des damaligen Chemiekombinates Bitterfeld heute noch 60000 Tonnen Hexachlorzyklohexan, Nebenprodukt der Pflanzenschutzmittelproduktion. Sehr toxisch, ein Feststoff, aber gefährdet das Grundwasser. Da sind die Sanierungsmaßnahmen immer noch nicht abgeschlossen.«
Die nächste Altlast heißt SDAG Wismut. SDAG bedeutet Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft. Wismut ist ein nichtradioaktives chemisches Element. Es handelte sich bei der SDAG Wismut aber keineswegs um ein Unternehmen zum Abbau von Wismut; der Name diente der Verschleierung. Es ging um den Abbau von Uran für die sowjetische Atomindustrie.
Auch zur Wismut bekommt der Umweltminister stapelweise Eingaben; die radioaktive Belastung um Ronneburg, um Schlema, um Königstein im Elbsandsteingebirge ist alarmierend. Lothar de Maizière lässt die Wismutbetriebe schließen: »Als ich in Moskau war, sagte ich dem Ministerpräsidenten Ryshkow: ›Wissen Sie, Herr Minister‹, ich weiß es noch wie heute, ich zog meine Jacketttaschen heraus, ›das ist mein Vermögen. Wenn Sie Geld haben wollen, fahren Sie 600 km weiter nach Bonn, vielleicht kriegen Sie da was.‹ Er hatte davon angefangen, dass wir die Wismut ohne sein Wissen geschlossen hätten, was auch der Realität entsprach, und wir würden ihm den Gewinn schulden. Ich sagte: ›Die Wismut hat 120 Milliarden DM Umweltaltlasten hinterlassen. Wenn Sie mir 60 Milliarden geben zur Behebung der Umweltaltlasten, dann können wir darüber reden, ob wir sie wieder anschmeißen.‹
Es werden noch Generationen mit den Altlasten der Wismut zu tun haben, der Abraum strahlt noch heute, und der Schneeberger Lungenkrebs wird in der Fachliteratur auch erst beschrieben, seitdem dort die armen Schweine in den Uranbergbau gejagt worden sind. Wenn man an die Häftlinge denkt, die nach der Wirtschaftsstrafverordnung oder dem Edelmetallgesetz oder sonst was bestraft wurden, die durften in den Bergbau gehen und bekamen für einen Tag Bergbau zwei Tage Haft angerechnet. Sie dachten, sie könnten aus ihren 25 Jahren Zwangsarbeit einfach 12,5 Jahre machen, und nach 10 Jahren sind sie mit Schneeberger Lungenkrebs in die Grube gefahren. Das durfte nicht einmal in den Totenschein reingeschrieben werden. Da kam dann Sarkoidose der Lunge oder Staublunge rein. Das war so was von menschenverachtend, was dort in der Wismut und in anderen Bereichen der Volkswirtschaft passiert ist!«
Ab Mai kommt es erstmals zu Protesten gegen die in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte. Vor einem sowjetischen Militärflugplatz demonstrieren 1500 Leute, werfen mit Flaschen und Steinen. Verteidigungsminister Eppelmann befürchtet, dass dieses Pro blem eine politische Tragweite gesamteuropäischen Ausmaßes annimmt. Ursache der Proteste sind Berichte über von den sowjetischen Streitkräften verursachte Umweltschäden.
»Ich kann mich noch daran erinnern«, sagt Eppelmann, »die letzte Konferenz des Warschauer Vertrages fand am 14. Juni hier in Strausberg statt. War Jahre vorher festgelegt worden. Der Waffendienstverweigerer
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