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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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einhielten, die sowieso weit unter dem Bereich der Bundesdeutschen lagen. Wir mussten uns ja im Vertrag zur Währungsunion ausbedingen, dass die westdeutschen Umweltvorschriften für vier Jahre bei uns ausgesetzt werden, weil wir sonst am ersten Juli fast alle Betriebe hätten schließen müssen, mit den Schadstoffemissionen, die sie ja hatten, fehlende Rauchgasentschwefelung und so weiter.«
      Die DDR bläst pro Jahr 5,2 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Luft. Verursacher sind vor allem die Braunkohlekraftwerke, die ohne Entschwefelungsanlagen arbeiten, aber auch der sogenannte Hausbrand, also die vielen Kohleöfen in den DDR-Wohnungen. Die von der Einwohnerzahl ungefähr viermal so große Bundesrepublik produziert pro Jahr knapp eine Million Tonnen SO .
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      Steinberg: »Das konnte man sehen im Erzgebirge, auch im Thüringer Wald, das konnte man spüren, wenn man in Mitteldeutschland war, in Bitterfeld, Merseburg, in Espenhain, in Leipzig – es war eine Katastrophe! Das war also Thema eins, die Luft zu säubern, vor allen vom Schadstoff Dioxin, aber auch vom Staub. Knapp zwei Millionen Tonnen Feinstaub kamen aus den Braunkohlekraftwer ken. Pro Jahr zwei Millionen Tonnen Staub! In den Ballungsgebieten musste man von innen die Fensterbretter immer wieder vom Staub befreien.
      Ich entsinne mich an die Eingaben aus Bitterfeld. Da war es ganz besonders schlimm. Mein zweiter Schwerpunkt war Leipzig-Süd. Da ging es um die Braunkohlenschwelerei Espenhain und das Kraftwerk Thierbach und die damit verbundenen enormen Emissionen.
      Die Gemeinde Mölbis, die im Emissionsbereich dieser Braunkohlenschwelerei Espenhain liegt, da gab es Aromatenkonzentrationen in der Luft, also toxische, krebserregende aromatische Kohlenwasserstoffkonzentrationen, die waren unvorstellbar hoch. Da gab es also Tausende von Eingaben aus diesem Bereich. Wir haben dann relativ schnell die Stilllegung dieser Braunkohlenschwelerei herbeigeführt. Auch aus wirtschaftlichen Gründen war es nicht so schwierig, dies durchzusetzen. Aber es hat natürlich Arbeitsplätze gekostet.«
      Lothar de Maizière nennt noch dramatischere Zahlen: »Die DDR hatte bei der UNO keine Zahlen über den Schwefelausstoß gemeldet, obwohl sie bei der Weltgesundheitsorganisation dazu verpflichtet war. Dann hat die UNO geschätzt auf 3 Millionen Tonnen, und die DDR-Botschaft musste protestieren. Der anschließenden Aufforderung nach Meldung der Zahlen ist die DDR wieder nicht nachgekommen – tatsächlich haben wir nämlich 7,5 Millionen Tonnen Schwefel jedes Jahr über das Land verstreut. Sie können sich ausrechnen, was das bewirkt hat, bis hin zu Gesundheitsschädigungen und Ähnlichem. Im Raum Halle-Merseburg waren die Kinder im Regelfall sechs bis acht Monate entwicklungsretardiert, wenn sie zur Schule kamen, mit Pseudokrupp und Asthma. Da kommt mir noch heute richtig die Wut hoch! Und das als Vollbeschäftigung von diesen Betrieben zu bejubeln, da muss man sich schon große Mühe geben!«

    Ein zweites riesiges Problem, das der Umweltminister vorfindet, ist die unglaubliche Verunreinigung der Gewässer, der Flüsse und Seen. Es müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden. Auf Anregung von Töpfer entsendet Steinberg Mitarbeiter in die Elbeschutzkommis sion: »Die Saale, die Mulde waren Kloaken! Ich lebte damals, und lebe heute noch, in Merseburg. Wir hatten im Jahr 1989 die Gewässerklasse 5. Güteklasse 5! Das heißt nach der damaligen DDR-Nomenklatur: ›Für industrielle Zwecke als Brauchwasser ungeeignet‹. Mehr muss man, glaube ich, nicht sagen! Heute, 17 Jahre später, gibt es Forellen in der Saale. An der gleichen Stelle, die damals Güteklasse 5 war. Wir haben also Güteklasse 2 inzwischen, Lachse kommen zurück, wandern in die Laichgebiete, über die Elbe und Saale, in die Unstrut rein. Das ist klasse, dass wir das geschafft haben!
      Die Zellstoffproduktion war nicht umweltfreundlich, absolut nicht. Sie hat die Flüsse erheblich belastet, zum Beispiel im Eichsfeld. Ich stamme aus Heiligenstadt, da gab es auch eine Zellstoff- und Papierfabrik, die direkt in die Geislede die Abwässer entlassen hat. Die waren dann in der Leine, einem kleinen Nebenfluss der Aller. Die Leine war weitgehend ein toter Fluss – heute leben dort wieder Forellen.
      Die Salzfracht der Werra. Da konnte man nicht viel machen. Es wurden, auch unter dem Druck der Kaliindustrie aus den alten Bundesländern, erst einmal Werke stillgelegt. Der Weltmarkt war mit Kalisalzen

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