Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
aber die Gelegenheit nur genutzt, mich mehr oder weniger zu beschimpfen, dass mit der Währungsunion sein Konto halbiert wurde. Über andere Sorgen haben wir nicht gesprochen. Peter Schreier 27 ist gekommen und Herr Matthus 28 , da ging es um die Gründung der Musikakademie in Rheinsberg. Und da kam auch Barbara Schall 29 , die sich dann so kokett auf das Ledersofa schmiss, das im Raum geblieben war, und dann sagte: ›Na, Ministerchen, kriege ich jetzt Geld fürs BE?‹ Es hat durchaus folkloristische Einlagen gegeben!
Das war natürlich auch irgendwo sehr belebend, denn ich hatte nicht so ein Problem damit, Minister zu sein, weil ich wusste, wir sind ja eigentlich Kollegen. Wer da vor mir sitzt, ist ein Kollege von mir. Gestern noch habe ich im Museum eine Führung gemacht oder einen Beitrag geschrieben für einen Katalog oder ein Bild aufgehängt oder was. Ich bin ja in dem Sinne kein richtiger Minister mit so einer Aura, vor dem man dann vor Ehrfurcht versinkt oder wo man auf die Knie muss oder was. Ich glaube schon, dass es da eine Lässigkeit gegeben hat.
International war das natürlich ein anderes Geschäft. Das hat auch Spaß gemacht, zum Beispiel die erste Konferenz in Italien, auf Sizilien diese europäische Kulturministerkonferenz. Das war Ins
Peter Schreier (Jg. 1935), weltweit bekannter Tenor und Dirigent. Siegfried Matthus (Jg. 1934), DDR-Komponist (Klassische Musik), Leiter der Kammeroper Schloss Rheinsberg.
Barbara Brecht-Schall (Jg. 1930), Tochter und Miterbin Bertolt Brechts, Schauspielerin am Berliner Ensemble (BE).
Wasser-Springen. Und diese Seltsamkeit, einen Staat zu vertreten, den man eigentlich ob seiner Auswüchse abgelehnt hat. Wir haben ja damals diesen wunderbaren Spruch gehabt: ›Wir haben die DDR geliebt in dem, was sie hätte sein können, und wir haben sie verachtet in dem, was sie war!‹
Dennoch ist in der DDR Kunst entstanden, die sicher auch an jedem anderen Ort und in jedem Museum bestehen würde.
Von Seiten des Westens gab es immer so eine Generalverurteilung: Also in einer Diktatur kann doch eigentlich gar keine Kunst entstanden sein. Die Gegenfrage, dann muss ja in der Demokratie nur Kunst entstehen, ist genauso schwierig zu beantworten. Die Debatten, die eigentlich an den Kunstwerken selbst hätten abgehandelt werden müssen, wurden immer wieder auf politische Weise geführt und dann immer mit einem denunziatorischen Beigeschmack. Es hat dann wirklich so eine Art Siegermentalität gegeben. Immerhin wäre der Beitritt ja auch eine Möglichkeit gewesen, dieses eingefahrene bundesdeutsche System vielleicht aufzulockern, es zu verändern, zu fragen, haben wir denn im Westen alles richtig gemacht? Sind es die richtigen effektiven Strukturen, oder ist dieser Beitritt nicht so eine Gelegenheit, da alles in Unruhe ist, aus dieser Unruhe was Produktives zu entwickeln und vielleicht doch gemeinsam was Neues zu machen. Und vielleicht auch die Dinge der DDR differenzierter wahrzunehmen, die Strukturen, die Institutionen. Also sie nicht nur als politisches Instrumentarium und als missbrauchte Einrichtungen zu sehen, sondern eben auch als Einrichtungen, in denen Kunst entstanden ist, wo zum Teil großartige Leistungen mit internationalem Erfolg herausgekommen sind. Das ist ja in dieser Phase aber alles eher kleingeredet worden.
Und natürlich der Streit um die Biographien der Künstler, dass in der Bewertung niemals die W erke eine Rolle gespielt haben, sondern meistens die politischen Verflechtungen, das Korrumpiertsein, die enge Verbindung mit dem System. Das hat immer den Ausschlag gegeben, Dinge zu erhalten oder abzuschaffen oder sie so auf Sparflamme zu setzen, bis sie sich irgendwann von allein erledigt haben.«
16. Blühende Stadtlandschaften
»Es war grau, dreckig und unglaublich verfallen!«
Axel Viehweger
»Der Staatskonkurs«, sagt Lothar de Maizière, »ist keine vergnügungssteuerpflichtige Ange legenheit. Gleichwohl vermag ich nicht in diesen dauernden Trauerchor mit einzustimmen. Jeder, der das will, sollte sich mal angucken, wie die DDR aussähe, wenn wir die Wiedervereinigung nicht bekommen hätten, und wie dann unsere schönen mitteldeutschen Städte aussähen, wie Erfurt aussähe, wie Wittenberg aussähe, wie Halle aussähe, was ja schon vor der Wende fast ein Scherbenhaufen war, oder Güstrow oder Wismar oder sonst irgend so was. Und am Ende dieses Prozesses werden diese Städte schöner aussehen als ihre Geschwisterstädte in den
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