Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
alten Bundesländern, weil wir die Betonhütten der 50er Jahre nicht mitgemacht haben. Armut ist, glaube ich, ein ganz guter Denkmalschützer, aber es darf nicht länger als eine Generation dauern.«
Honeckers Wohnungsbauprogramm, auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 beschlossen, hatte das Ziel, die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen. Das heißt, jeder sollte eine Wohnung bekommen können. Als Honecker sein Lieblingsprojekt verkündet, ist die Wohnungsnot in der DDR groß. Die Folgen des 2. Weltkrieges, in dem allein auf dem Territorium Ostdeutschlands ca. 850000 Wohnungen total oder teilweise zerstört wurden, waren längst nicht überwunden. In den Städten waren die Ruinen und Baulücken noch überall zu sehen. Die Lösung des Problems sollte in einer Kombination von Neubau, Modernisierung und Erhaltung alter Bausubstanz bestehen. Tatsächlich wurde fast alles Geld in den Wohnungsneubau auf der grünen Wiese gesteckt. Die Innenstädte verfielen zusehends.
Wohnungsbauminister Axel Viehweger von den Liberalen: »Ich habe vor kurzem Aufnahmen gesehen, die hat ein Privatmann 1990 in Dresden gedreht. Er ist einfach durch die Straßen gefahren und hat ein Video gedreht. Es war grau. Grau, dreckig, und es war unglaublich verfallen. Man vergisst ja vieles, wir haben es damals auch nicht so empfunden, man hat dazwischen gelebt. Wir wussten um die Vorgaben, wir wussten um die hehren Ziele, jeder wusste auch, dass es nicht so sein wird. Dächer dicht, trocken und sicher wohnen, warm wohnen und dergleichen mehr; wir wussten um die Schlagwörter und deren Verlogenheit. Das war die Situation 1989/ 90.
Aber ich wiederhole noch mal, und das ist vielleicht das Besondere daran: Wenn man dazwischen wohnt, empfindet man es als nicht so schlimm, als wenn man es dann später noch mal sieht. Es war wirklich schlimm! Speziell, wenn ich die Dresdner Neustadt sehe. Ich wohne mittendrin in dieser schön gewordenen Dresdner Neustadt. Sanierter Altbau, junges Leben, verrücktes Leben teilweise, manchmal auch Bambule, das gehört ja dazu. Das war 1990 eine Ruinenlandschaft! Im wahrsten Sinne des Wortes eine Ruinenlandschaft. Und ohne diese Wende wäre es nicht das geworden, was es jetzt ist. Es wäre wahrscheinlich alles abgerissen worden. Vielleicht wären da jetzt Plattenwohnungen in der Neustadt, oder es wäre nach wie vor eine Brache. Ich weiß nicht, was geworden wäre, vielleicht eher Brache als Wohnstandort.«
In Anspielung auf die überall sichtbaren negativen Folgen des honeckerschen Wohnungsbauprogramms spotteten die Leute »Ruinen schaffen ohne Waffen«. Umweltaktivisten und Oppositionelle beklagten die »betonierte Welt«, in der sie leben müssen. Dabei war für die meisten Menschen die Zuweisung einer Neubauwohnung ein Geschenk des Himmels!
»Betonierte Welt?«, fragt der Wohnungsbauminister und schildert seine eigenen Erfahrungen: »Ich habe zu diesem Zeitpunkt in so einer Plattenwohnung gewohnt und war da nicht unglücklich drüber, weil ich vorher in einer baupolizeilich gesperrten Altbauwohnung gewohnt habe, mit Außentoilette. Also für mich als normalen DDR-Bürger mit zwei Kindern war diese WBS70-Plattenwohnung in Dresden ein Segen! Da habe ich lange drauf gewartet. Fließend Wasser aus der Wand, ein Bad, klitzeklein, aber ein Bad. Das hatte ich vorher nicht. Vorher hatte ich eine Duschkabine im Flur. Deswegen muss man die betonierte Welt immer in der Relation sehen. Heute möchte ich da auch nicht mehr wohnen, aber ich habe nicht vergessen, wie glücklich ich war, diese Wohnung bekommen zu haben, auch wenn es eine Planerfüllungsjahresendwohnung war. Im ganzen Haus die gleiche Tapete und keine Drehkippfenster, weil die Beschläge ausgegangen waren. Aber man kannte es nur so, und ich war glücklich in dieser Wohnung!«
Die neue Regierung verschafft sich sofort eine Übersicht über den Zustand der Innenstädte. Schnell wird das ganze Ausmaß des Verfalls deutlich und dass es höchste Zeit ist, die Prioritäten neu zu setzen. Viehweger: »Ich war sehr froh, dass wir relativ schnell mit der Bundesregierung übereingekommen sind, Städtebauförderung zu beginnen mit den Pilotstädten. Also innerhalb dieses halben Jahres ist schon relativ viel Geld in bestimmte Pilotstädte geflossen. Meißen zum Beispiel. Es waren Ruinen, und man hat gesehen, wie schnell es mit den Dächern vorwärtsging. Erst die Trockenlegung, danach sanieren. Es war dringend notwendig, das zu tun, und es
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