Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
parlamentarische Bewegung, um diese Aufarbeitung in Gang zu setzen, das Gesetz sozusagen, dass die Akten nicht verschwanden und dass sie gesichert wurden. Es ging ja immer darum, dass die Akten vernichtet wurden. Der Innenminister Diestel stand ja irgendwie im Bündnis mit diesen Leuten und hat das zugedeckt, dass die da vieles zur Seite schaffen und schreddern konnten. Das ist ja alles während des Jahres 1990 noch passiert.
Und auch die Aufdeckung dieser Namen ist natürlich eine Bewegung gewesen, die einfach sein musste. Das musste festgestellt werden, wer in diesem neu gewählten Parlament früher Informant gewesen ist. Das war ja offen. Diese geheimen Informanten in allen Fraktionen, das war schon eine skandalöse Sache, dass die da untergetaucht waren und wütend gekämpft haben gegen die Offenlegung des Ganzen.«
Diestel sieht die Sache gelassen: »Wissen Sie, wenn ich diese vielen Frisöre, Bäcker und sehr vielen Pastoren sehe, die sich von heute auf morgen auf einmal zu Geheimdienstexperten entwickelten, und gleichzeitig gesehen habe, wie die Geheimdienstler bis weit in meine Amtszeit noch alles im Griff hatten! Wenn ich sehe, mit welcher Aggressivität vor allem Theologen damals an dem Prozess beteiligt waren und, ich will nicht sagen menschliche Opfer, Opfer verlangt haben und mit welchem Dilettantismus sich Leute, die mit geheimdienstlichen oder militärischen Dingen zu tun hatten, selbstherrlich über nachrichtendienstliche Fragen, die zum Teil auch in die Sicherheitsbelange unserer damaligen Regierung eingriffen, geäußert ha ben – das war schon etwas, was ich auch nicht so unwidersprochen hinnehmen konnte. Und deswegen habe ich mich auch in diesem Kreis der selbsternannten Stasi-Auflöser so oft wie möglich unbeliebt gemacht. Wir hatten nicht die Aufgabe, Schönheitspreise entgegenzunehmen, sondern es war ganz einfach die Aufgabe, einen hoch qualifizierten Nachrichtendienst, ich will nicht sagen zu liquidieren, aber zu paralysieren und gleichzeitig die Arbeitsergebnisse so zu nutzen, dass sie uns bei künftigen, demokratischen Entwicklungen nicht auf die Füße fallen. Und das muss einfach mit Sorgsamkeit, mit Sachverstand gemacht werden.
Deswegen bin ich sehr dankbar, dass mir Leute aus dem ehemaligen MfS, ohne Verrat zu begehen, sehr offensiv die Unterstützung haben angedeihen lassen – wenn ich an die RAF-Geschichten denke, wenn ich an die Auffindung von Kunstschätzen und Ähnlichem denke. Dankbarkeit ist in einem solchen Fall doch ein guter Ratgeber.«
Eberhard Stief: »Die Sicherheitslage war brisant. Aber festzuhalten und bemerkenswert ist, dass es kaum zu Exzessen gekommen ist. Die Polizei hat dort öffentlich sehr, sehr besonnen reagiert, und die Bürgerbewegung hatte ja eigene Komitees, um diesen Prozess unter Kontrolle zu halten. Das muss man schon lobend erwähnen, so dass sich das alles in einigermaßen vernünftigen Grenzen hielt.
Das schließt aber nicht etwa aus, dass sehr viele Unterlagen weggekommen sind. Und mir ist auch bekannt, dass in verschiedenen Gegenden der DDR mit diesen Papieren und Unterlagen, manchmal nur einzelne Blätter, Schindluder getrieben wurde. Leute zu denunzieren, da gibt es ja offensichtlich bei manchen Leuten immer eine Grundbegabung, das zu machen oder sie für gutes Geld zu verscheuern.«
Diestel: »Das Ministerium für Staatssicherheit – das ist heute auch völlig unstrittig, was ich jetzt schildere, das ist einfach so, das ist historisches Wissen – wusste seit Sommer 1989, dass seine Zeit zu Ende ging. Und seit diesem Sommer sind wichtige Akten, wichtige Dokumentenbestandteile an befreundete Geheimdienste übergeben worden. Das hat im August, September 1989 begonnen, und das ging weit in die Zeit der demokratischen Kräfte hinein. Ich will sagen, man kann dem MfS alles nachsagen an Verwerflichkeiten, aber dieser Geheimdienst ist nicht dumm gewesen.
Und die haben genau das gemacht, was ein Geheimdienst macht, der weiß, dass es zu Ende geht – er hat die schriftlich hinterlassenen Arbeitsergebnisse so weit wie möglich vernichtet und hat dann den neuen, demokratischen Kräften nur das übergeben, was man übergeben wollte.
Das Innenministerium, das ich geführt habe, hatte nie, zu keinem Zeitpunkt, konkreten Aktenzugang. Wenn also Akten vernichtet worden sind, wenn in der Zeit, in der ich politische Verantwortung in der DDR hatte, vom 10. April bis zum 3. Oktober 1990, wenn in dieser Zeit Stasi-Akten
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