Die letzten Tage
dass ESsie dann nicht finden würde, doch im Grunde ihres Herzens wusste sie es besser.
Sie konnte IHM nicht entkommen, ganz egal, was sie auch tat.
Ein schreckliches, leicht blubberndes Geräusch zerriss die Stille. Mit Entsetzen erkannte Grazia, dass es sich um ein Schnüffeln handelte. ESkonnte sie vielleicht nicht sehen – aber riechen!
Nein! Nein! Das ist ein Traum! Nur ein Traum! Ich werde jeden Moment aufwachen und …
Sie zuckte zusammen, als etwas Kaltes, Schleimiges ihren Arm berührte, und ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal gebetet hatte – sehr lange –, doch jetzt kamen ihr die einst so vertrauten Worte wie von selbst über die bebenden Lippen.
Und dann hörte sie plötzlich diese Stimme, direkt an ihrem Ohr. „Grazia , mein kleines Mädchen … Willst du deiner Mammanicht Guten Tag sagen? Ich habe dich soooo vermisst!“
Grazia schrie auf. Etwas in ihr zerbrach in tausend Stücke.
Zack, der zu seiner eigenen Überraschung kurz eingenickt war, schlug die Augen auf.
Er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.
Normalerweise musste er sich erst ganz auf einen Menschen einlassen und sich auf ihn konzentrieren, um seine Gefühle ertasten zu können. Doch zwischen Grazia und ihm bestand eine seltsame Art von Verbindung – und sie schien in beide Richtungen zu funktionieren! Zack hatte so etwas noch nie zuvor erlebt.
Jetzt fühlte er deutlich, dass Grazia unerträgliche Qualen litt.
Argwöhnisch blickte er sich um. Hatte er irgendetwas übersehen? War es einem Dämon gelungen, von ihm unbemerkt in die Wohnung einzudringen?
Dann sah er, dass Grazia noch immer in dem altmodischen Ohrensessel saß. Ihre Augen bewegten sich hektisch unter den geschlossenen Augenlidern, ihr Atem ging stoßweise und gepresst. Sie schlief, während ihr Körper hellwach zu sein schien. Sie warf den Kopf hin und her, ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
„Nein“, murmelte sie. „Nein, bitte nicht!“
Zack konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. Er spürte ihre Angst, als ob es seine eigene wäre, und er musste ihr einfach helfen. Er stand von der Couch auf und ging zu ihr hinüber. Einen Moment lang betrachtete er beinahe gedankenverloren ihr Gesicht, dann hob er eine Hand und legte sie Grazia auf die Stirn.
Augenblicklich entspannte sie sich. Die Veränderung kam so plötzlich, dass es beinahe so aussah, als hätte man bei einer Marionette die Fäden durchtrennt. Gleichzeitig drang Zack wie von selbst in ihre Gedanken ein. Er konnte es nicht steuern, wie es sonst der Fall war. Dieses Mal war es wie ein Sog, dem er nichts entgegenzusetzen hatte, also ließ er es einfach geschehen.
Er tauchte ein in einen Kosmos, der erfüllt war von warmen Farben und einem sanften Licht, das auf seltsame Art und Weise zu pulsieren schien. Seifenblasen schwebten umher, einige von ihnen schillerten wie Regenbögen, andere waren verblasst und grau, und wiederum andere fast schwarz und beinahe undurchsichtig.
Es waren Erinnerungen.
Grazias Erinnerungen.
Zack sah sie als kleines Kind an der Hand einer Frau, die er für ihre Mutter hielt, und ein glückliches Strahlen lag auf ihrem Gesicht. Dann sah er sie viele Jahre später auf der Abschlussfeier der Polizeiakademie, und dann wieder als junges Mädchen weinend an einem offenen Grab stehend. Immer wieder Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, dem seine Arbeit immer wichtiger gewesen war als sein einziges Kind.
Zack stöhnte auf. Er fühlte ihre Einsamkeit und ihre Verlorenheit, erfasste ihre Ängste und Sehnsüchte und blickte hinunter bis auf den Grund ihrer Seele.
Und dann war es auf einmal vorbei, und er kehrte in die Realität zurück. Grazia war aufgewacht und schaute ihn an. In ihren Augen glitzerte eine Mischung aus Argwohn, Neugier und – ja, was eigentlich? Sehnsucht?
Und wenn? Was interessiert es dich?
Sie war nur ein Mensch, und die Chancen, dass sie diese unselige Geschichte überlebte, standen verdammt schlecht. Er tat besser daran, sie nicht zu nah an sich heranzulassen. Er hatte diesen Fehler einmal bei Merle begangen, und wie teuer war es ihm zu stehen gekommen? Außer dem Verlust seiner Flügel und die Verbannung aus dem Himmelreich hatte es ihm auch seinen Glauben gekostet. Wie konnte Gott gut und gerecht sein, wenn er zuließ, dass ihm – einem seiner treuesten Diener – ein solches Leid widerfuhr?
Seit damals führte er ein Schattendasein. Er war noch immer ein Angelus, und er besaß auch noch all seine
Weitere Kostenlose Bücher