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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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diese Menge Fische essen soll?«
    »Wer? Wir natürlich!« flüsterte er, ohne aufzublicken, und scheuchte sie, während er auf die Spitze der Angelrute starrte, mit einer geradezu beleidigenden Handbewegung von sich fort. »Da ist einer dran! Schon wieder einer! Und es scheint ein mächtiger Bursche zu sein!«
    »Michael!« sagte sie lauter, und es klang wie eine Warnung. »Du nimmst dir ja kaum die Zeit zum Essen. Und von mir kannst du nicht verlangen, daß ich wie ein Walroß Fische in mich hineinstopfe, nur, damit du angeln kannst!«
    »Stör mich doch nicht!« zischte er und lauerte fieberhaft gespannt auf den Anhieb.
    »Michael!« rief Barbara, und Tränen des Zorns stiegen ihr in die Augen. »Fünf Tage sind wir jetzt hier, und seit vier Tagen tyrannisierst du mich mit deiner ekelhaften Angelei! Mit deiner verdammten Angelkrankheit! Es ist nicht zum Aushalten, Michael! Hörst du mich überhaupt? Es ist nicht zum Aushalten!!!«
    »Sie beißen! Sie beißen wie verrückt — und du jagst mir die Fische weg!« flüsterte er wütend und mit einer Stimme, als werde er im nächsten Augenblick vor Verzweiflung über die ewigen Störungen in einen gräßlichen Weinkrampf ausbrechen.
    »Ich habe genug!« schrie Barbara. »Ich reise ab! Ich schwöre es dir, Michael, ich krieg’s fertig!«
    Und als er nichts erwiderte, sondern nur ein idiotisches Pst, Pst von sich gab, fauchte sie ihn an: »Ich packe meine Sachen! Ich fahre nach Ingolstadt! Und was ich dort tun werde? Ich werde dich bei der Polizei anzeigen, weil du hier ohne Angelschein fischst!«
    Er ließ die Hand sinken.
    »Aber Barbara!« sagte er kopfschüttelnd und vorwurfsvoll, aber doch ganz versöhnlich und tief im Baß, wie der Weihnachtsmann zu bösen Kindern ei, ei, ei, sagt. Und innerlich schämte er sich wahrhaftig ein bißchen. Ja, sein Gewissen regte sich. Barbara hatte natürlich recht, er hatte sie wirklich sträflich vernachlässigt.
    Und vielleicht wäre alles mild und versöhnlich und nach Barbaras Wunsch zu Ende gegangen. Außerdem fielen auch schon die ersten schweren Regentropfen, und der Donner grollte ganz nah über ihnen. Daß Michael aber dabei mit einem Auge doch nach der zuckenden Spitze der Angelgerte schielte, brachte Barbara um den Rest ihrer Selbstbeherrschung. Mit einem Sprung stand sie neben ihm. Und mit einem Griff hatte sie ihm die Angelrute entrissen, mit drei Handbewegungen hatte sie sie in ebenso viele Teile zerbrochen und hatte sie diese Teile der >fast unzerbrechbaren< kostbaren Überkopfwurfgerte mit einem wilden Schwung in weitem Bogen ins Wasser geschleudert.
    Michael sprang auf. Das Blut schoß ihm ins Gesicht, und aus seinen Augen sprühte Feuer. Weit, schon ganz weit weg trieben die drei nur noch von der Angelschnur zusammengehaltenen Teile der Gerte. Der Korkhandgriff hielt sogar die schwere Multirolle über Wasser. Und wahrhaftig, für einen Augenblick sah die Lage für Barbara äußerst ernst und bedrohlich aus — es sah ganz danach aus, als ob Barbara in der nächsten Sekunde der zerbrochenen Angelrute nachfliegen würde. Michael schien nur noch die Entfernung abzumessen und den besten Griff zu berechnen. Und es bleibt sehr fraglich, ob er schließlich nur deshalb nichts Tätliches gegen Barbara unternahm, weil er sich auf Zitate der Minnesänger besann, die den Rittern eine zarte Behandlung der Damen in allen Situationen dringend empfahlen.
    Oder plante er noch Fürchterlicheres? Er war sehr blaß geworden, sein linkes Augenlid zuckte, und Barbara wurde im Innersten von einer schrecklichen Angst ergriffen. So furchterregend hatte sie ihn noch niemals in den vergangenen vier Jahren gesehen.
    Sekundenlang standen sie sich Auge in Auge stumm in nervenzerreißender Spannung gegenüber. Ganz wortlos. Ganz starr. Ganz stumm. Blitze, Donner und Regen tobten über der Szene. Aber auch triefend rührten sie sich nicht vom Fleck.
    Und plötzlich sagte Michael: »Schluß!!!«
    Das Wort fuhr rauh und wie von einem Erstickungsanfall herausgeschleudert aus seiner Kehle.
    »Michael...«, stammelte Barbara mit kläglicher Stimme. Sie bereute es in diesem Augenblick aufrichtig, daß sie sich so weit hatte hinreißen lassen. »Ach, Micha, es tut mir ja so leid! Aber siehst du nicht ein, daß es so nicht mit uns weiterging? Daß ich stumm geworden wäre? Stumm und wahnsinnig? Die Urlaubstage sind doch so kurz, Michael...«
    Er sah durch sie hindurch, als ob sie plötzlich transparent geworden, als ob sie überhaupt nicht vorhanden

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