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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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jede Niedertracht zuzutrauen sei.
    »Nein, wahrhaftig, Fräulein Marion«, seufzte auch Steffen aus dem Hintergrund mit bibbernden Lippen, »wie kommen Sie nur auf diese merkwürdige Idee?«
    Michael schob das Kinn vor und kaute an seiner Lippe. Er streifte Barbara mit einem flüchtigen Blick — und starrte dann
    Marion an. Lange und bohrend. Es wurde allgemach geradezu
    unheimlich.
    Herr Keyser zog wieder einmal den Hals ein, und Thomas Steffen bekam vor Wut über diese unverschämte Musterung Magenschmerzen. Hinter der Stirn des Unholds schienen fürchterliche Gedanken umzugehen.
    »Ich scheine ja einen reichlich merkwürdigen Eindruck auf Sie alle zu machen«, sagte Michael plötzlich mit gänzlich veränderter Stimme; sie war fast ölig vor lauter Freundlichkeit. »Ja, mein Fräulein, auch ich möchte Sie fragen, wie Sie darauf verfallen konnten, mich für einen Rohling zu halten, der Ihnen zumutet, diese scheußliche Nacht im Freien zu verbringen.« Er tastete mit der Hand in die Richtung ihres Blickes — und seine Finger landeten auf seinem Bart.
    »Deshalb etwa?« er lachte herzlich auf. »Ich scheine reichlich wüst auszusehen, wie? Sie müssen meinen Bart schon entschuldigen, ich habe nämlich mein Rasierzeug mitzunehmen vergessen.«
    »Wüst?« rief Herr Keyser in einem Tonfall, als hätte Michael ihn schwer gekränkt. »Aber keine Rede davon! Ich habe auch einmal Bart getragen. Nein, ganz im Gegenteil, der Bart steht Ihnen glänzend! Wissen Sie, wie Sie aussehen? Wie einem alten holländischen Meister aus dem Rahmen gestiegen!«
    Ein schiefer Blick von Michael ließ ihn verstummen, noch ehe er seinen kunsthistorischen Exkurs ganz zu Ende gebracht hatte. Als Michaels Blick jedoch zu Marion weiterwanderte, wurde er wieder honigmild.
    »Haben Sie Hunger, mein Fräulein?«
    »Hunger?« röchelte Thomas Steffen, als wäre er nicht mit dem Faltboot auf der Donau, sondern als Steuermann bei Kolumbus auf der >Santa Maria< gefahren, mit wochenaltem Skorbut an Bord und mit gekochten Ledersohlen zum Frühstück.
    »Hunger?« antwortete Marion. »Ehrlich gesagt: fürchterlichen Hunger!«
    »Weshalb haben Sie das nicht gleich gesagt! Dem können wir nämlich abhelfen! Ich habe heute ein paar Fische gefangen, ich hoffe, sie werden für uns alle reichen.« Er warf Barbara einen vernichtenden und triumphierenden Blick zu, dann schlüpfte er in seinen grauen Wettermantel, stülpte einen Südwester auf und öffnete die Tür. Regen und Wind fuhren wie von der Kette gelassene Hunde in die Hütte hinein.
    Die vier blieben allein. Sie horchten sekundenlang hinaus und hörten Michael um die Hütte stapfen.
    »Ein fürchterlicher Kerl!« stieß Steffen zähneknirschend hervor und ballte die Fäuste. »Der reine Pirat! Und dazu diese Räuberhöhle.«
    Herr Keyser seufzte: »Fische — hm —!«
    »Ich finde ihn gar nicht so schlimm«, flüsterte Marion; »ich finde sogar, er sähe ganz manierlich aus, wenn er nicht diesen gräßlichen Bart trüge.«
    »Erlauben Sie, bitte!« protestierte Steffen entrüstet.
    »Fische oder nicht Fische — dieser Bursche ist ein ganz ungeschliffener Lümmel!« stellte Herr Keyser fest.
    »Ein finsterer Geselle!« sagte Barbara und schlug die Hände vors Gesicht, als wolle sie ein Aufschluchzen verbergen.
    Ihr Ausruf lenkte die Aufmerksamkeit der kleinen Gesellschaft auf sie. Man hatte ihre Anwesenheit fast vergessen.
    »Mein armes Fräulein!« rief Herr Keyser mit einer Armbewegung, als wolle er Barbara schützend an seine Brust ziehen. »Gewiß! Dieser Mensch ist ein Rüpel oder noch etwas Schlimmeres!« Er schämte sich aufrichtig, daß er einen Augenblick lang seinen knurrenden Magen über seine Gesinnung hatte triumphieren lassen und nahe daran gewesen war, wegen eines in Aussicht stehenden Fischgerichtes dem Unhold mildernde Umstände zuzubilligen.
    »Wie sind Sie nur auf dieses Eiland gekommen, mein Fräulein?« fragte Thomas Steffen mitleidig.
    »Genauso wie Sie«, antwortete Barbara mit dem Versuch, unglücklich und hilfsbedürftig auszusehen. Was für eine Gemeinheit von Michael, sie zu verleugnen! Und da sie nach dieser Demütigung fest entschlossen war, ihn seinem Schicksal zu überlassen und morgen früh das Weite zu suchen, war es das beste, die Rolle, die er ihr aufgezwungen hatte, mit Anstand und Geschick zu Ende zu spielen. »Sie glauben nicht, wie froh ich bin, daß Sie gekommen sind!«
    »Das kann ich Ihnen nachempfinden!« sagte Herr Keyser, mit dem die Phantasie wieder einmal

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