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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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durchging. »Aber trösten Sie sich, mein Kind, von jetzt an stehen Sie unter meinem Schutz!«
    »Unter unserem Schutz!« fügte Thomas Steffen mit Nachdruck hinzu und warf sich in die Brust.
    »Ich bin Ihnen ja so dankbar!« murmelte Barbara und schlug die Augen nieder.
    Herr Steffen starrte gedankenversunken in die rote Glut des Herdes. »Rasierzeug vergessen?« murmelte er düster und fuhr sich fröstelnd an den Hals. »Nun, das klingt mir reichlich merkwürdig. Ich kann mich nicht entsinnen, schon jemals mein Rasierzeug vergessen zu haben! Aber ich weiß, daß es gewisse Ans-talten gibt, in denen man gewissen Herren aus gewissen Gründen Rasiermesser nicht verabfolgt!« Er hüstelte bedeutungsvoll.
    »Um Himmels willen!« Herr Keyser erblaßte. »Sie meinen doch nicht im Ernst, dieser Mensch könnte...« Der Gedanke war zu entsetzlich, um ihn zu Ende zu führen. Nicht nur, daß es in der Nähe von Donauwörth eine Landesirrenanstalt gab, auch ein Zuchthaus befand sich in dieser Gegend.
    Steffen zuckte mit den Schultern und sah sehr ernst aus. »Jedenfalls muß man dem Burschen vorsichtig auf den Zahn fühlen! Und aufpassen! Scharf aufpassen!« Er stand hochaufgerichtet vor seinen Freunden und schien von einer wilden Entschlossenheit beseelt, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
    Barbara bekam in diesem Augenblick einen so erstickenden Hustenanfall, daß Herr Keyser ihr zur Hilfe eilte und ihr lange und kräftig auf den Rücken klopfte.
    »Reden Sie doch nicht so einen unglaublichen Unsinn!« flüsterte Marion Herrn Steffen zu, da sich draußen Schritte der Hütte näherten. »Ich habe mir den Mann genau angesehen, und ich finde, er hat einen recht interessanten Kopf...«
    »Für den S-taatsanwalt vielleicht!« warf Thomas Steffen in eifersüchtiger Empörung ein.
    »Bitte, dann leihen Sie ihm doch morgen einmal Ihr Rasierzeug«, sagte Marion kühl.
    Steffen starrte sie entgeistert an.
    »Rasierzeug?« stotterte er und ließ plötzlich die Arme fallen.
    Marion brach in ein wildes Gelächter aus. Sie lachte hemmungslos und voller Schadenfreude.
    »Natürlich!« rief sie, von einem neuen Lachanfall geschüttelt. »Ihr Rasierzeug ist ja mit abgesoffen! Ich bin gespannt, wie Sie nach acht Tagen aussehen werden! Das wird einen interessanten Vergleich geben! «
    Barbara horchte auf und sah Marion sehr aufmerksam an. Was hatte dieses Mädchen denn eigentlich im Sinn?
    »Sie werden nicht dazu kommen, Vergleiche anzus-tellen, Fräulein Marion!« sagte Steffen mit Betonung.
    »Das bleibt abzuwarten«, bemerkte Marion kichernd, und Barbara war nicht die einzige, der der rätselhafte Ausdruck in Marions Gesicht zu denken gab. Steffen starrte die Tochter seines Partners an, als traue er seinen Ohren nicht recht.
    In diesem Augenblick trat Michael ein. Er brachte in einem Netz, das bislang im Wasser gehangen hatte, seinen ganzen heutigen Fang mit, ein zappelndes Silbergewimmel.
    »Weshalb stehen Sie eigentlich noch immer in Ihren nassen Sachen hier herum?« fragte er. »Sie hätten sich inzwischen doch wahrhaftig längst umziehen können!« Er wandte sich an Steffen: »Besonders Sie, alter Knabe, werden sich noch einen Schnupfen holen.«
    »Was unters-tehen Sie sich, Herr!« fuhr Thomas Steffen auf. »Wir beide dürften wohl im gleichen Alter sein!«
    »Wirklich?« fragte Michael ungerührt.
    Herr Keyser nieste heftig dazwischen: »Umziehen — hatschi! — Sie haben gut reden, werter Herr. Ich täte es liebend gern. Aber ich frage Sie: womit?«
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    Eine Stunde später saßen sie alle am Boden der Hütte rings um einen riesigen Berg von Bratfischen, der unter ihrem gesunden Appetit zusehends zusammenschmolz. Herr Keyser leistete Erstaunliches. Er verzehrte die Fische von der Hand, es sah aus, als spiele er Mundharmonika, so eifrig schob er die knusprigen Rücken durch die Lippen, knabberte sie ab und spuckte die kleinen Gräten vor sich hin. Thomas Steffen ließ sich ebenfalls nicht nötigen. Marion hieb tüchtig drein. Und Michael stopfte schon aus Wut, weil sich Barbara unter dem Vorwand, noch niemals in ihrem Leben einen Fisch ausgenommen oder geschuppt zu haben, vor diesem Geschäft gedrückt und es Michael allein überlassen hatte, den Fang zu köpfen, zu säubern und zu braten.
    Die Hütte war dunkel vor Rauch und stank wie eine Eskimohöhle, in der Tran gekocht wird. Da sie keine Fenster besaß, durch die der Qualm und Dunst hätte abziehen können, und weil man die Tür nicht öffnen konnte, weil es

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