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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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zerbrochen und in den Fluß gefeuert! Bei allen Teufeln, das war, wie man es auch ansehen wollte und selbst dann, wenn man zugab, nicht ganz unschuldig zu sein, schon ein starkes Stück! Und hier klein beizugeben und so zu tun, als ob nichts geschehen sei, das konnte einen Präzedenzfall schaffen, dessen Folgen gerade im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit für die ganze Zukunft einfach unabsehbar waren. Das konnte eines Tages damit enden, daß man die Bratpfanne über den Schädel gehauen bekam! Aber schön, so weit wollte er gar nicht denken, und er war auch zu großmütigem Vergeben und Vergessen bereit — wenn Barbara den Anfang machte. Das war er seiner Ehre und Manneswürde schließlich schuldig.

    Barbara schlief spät ein und erwachte erst am späten Morgen. Der Himmel spannte sich wie eine blaue Seidenglocke über dem Ried, und die Sonnenstrahlen stachen wie blank polierte Degenklingen durch die Ritzen der Bretterwände.
    Fremde Stimmen?
    Es dauerte eine Sekunde, ehe sie den Anschluß an den vergangenen Abend fand. Krach mit Michael — ein furchtbares Unwetter — und dann unerwartete Gäste. Sie richtete sich empor. Marions Lager war leer. Der Schlafsack war zusammengelegt. Und die Uhr ging auf zehn. Aber sie war nicht allein in der Hütte. Hinter der Zeltbahn, die den Raum noch immer teilte, hörte sie Herrn Keysers Stimme.
    »Also es geht nicht?«
    Und Marions Antwort: »Es tut Michael herzlich leid, aber er hat nur zwanzig oder dreißig Mark bei sich. Natürlich hilft er uns gern mit der Hälfte davon aus. Aber selbst, wenn er uns sein ganzes Geld gäbe, würde es nicht für die Bahnfahrt langen.«
    Schwindelte Marion ihrem Vater etwas vor? Oder hatte Michael Marion beschwindelt? Er hatte doch vier unangebrochene Fünfzigmarkscheine und eine Handvoll Silber bei sich — dort in dem Anzug, der über ihrer Lagerstatt in der Hütte hing. Sie erhob sich geräuschlos und tastete die Taschen ab. Natürlich! Die Münzen klingelten, und die Scheine staken in der Brieftasche! Was veranlaßte Michael, seinen Besitz zu verheimlichen? Er zweifelte doch nicht etwa an der Kreditwürdigkeit der Herren Keyser und Steifen, wie? Und daß dieses Fräulein Marion so einfach von >Michael< sprach, das klang ja merkwürdig intim!
    »Was fangen wir nur an?« seufzte Herr Keyser mutlos. »Wir können hier doch nicht bis zum Winter sitzen bleiben und einfrieren!«
    »Hallo! Fräulein Marion!« schallte eine Stimme über das Wasser. Und die Stimme gehörte Michael.
    »Hallo, Michael, ich komme schon!« schrie Marion zurück. Und zu ihren Männern gewandt: »Entschuldigt mich jetzt, aber wir haben wirklich noch genug Zeit vor uns, um zu überlegen, wie wir von hier fortkommen.« Und sie eilte barfüßig davon.
    Barbara rührte sich nicht und regte sich nicht. Sie biß sich in die Finger, wie sie es tat, wenn sie einen körperlichen Schmerz übertönen wollte. Daß Michael ihren langen Schlaf für Eigensinn und Fortsetzung der Kampfhandlungen hielt, konnte sie nicht ahnen. Eine geraume Zeit blieb es auch jenseits der Trennwand still. So still, daß Barbara ihr empörtes Blut in der Halsschlagader pochen hörte.
    Und dann unterbrach die Stimme von Herrn Keyser das Schweigen: »Da schwimmt sie ab! Jetzt haben wir den Salat! Und Sie stehen hinterm Zaun und gucken zu, Steffen!« Ein knurrender Seufzer. Eine kurze Zwischenpause. Und dann: »Ich habe Sie beobachtet, junger Freund. Sie mögen ein guter Faltbootfahrer und ein erstklassiger Kaufmann sein — aber wie man eine Frau zu erobern hat, davon haben Sie keine Ahnung! Keinen blassen Dunst! Da könnte ich Ihnen noch etwas vormachen! Jawohl, es ist wahrhaftig eine Schande, wie dämlich Sie sich anstellen. Und mein Opfer — und es war wahrhaftig ein Opfer! — ist total umsonst gewesen!«
    »Ich bin daheim sehr s-treng gehalten worden«, antwortete Herr Steffen geknickt, »und ich habe bisher keine Gelegenheit gehabt, mit Frauen umzugehen.«
    »Das merkt man!« sagte Herr Keyser grimmig, aber weicher, fast väterlich — wobei er Thomas Steffen herzlich auf die Schulter klopfte — fuhr er fort: »Aber nicht gleich so verzagt, mein Lieber! Nicht gleich die Flinte ins Korn werfen!« Sein Organ bekam sonore Schwingungen: »Kühn sein, mein Junge! Courage, Steffen! Nicht nur immer wie ein schlampiger Toggenburg herumhocken! ‘ran an den Speck! Sie sehen, jeder hergelaufene Luftkutscher schnappt Ihnen das Mädel vor der Nase weg. Ja, zum Teufel, Mann — als ich so alt war wie Sie!

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