Die Leute mit dem Sonnenstich
näher. Aber Barbara folgte seiner Blickrichtung — und dort ließ Marion sich von Michael an der Uferböschung emporziehen. Sie schien sich in ihrer braunen Haut pudelwohl zu fühlen und den Kummer und die Sorgen ihrer Begleiter längst vergessen zu haben.
»Ich fürchte, daß Sie recht haben«, murmelte Herr Steffen mit verkniffenen Lippen. Er sprach bemerkenswert ruhig und schien sich damit abgefunden zu haben, daß das Rennen um Marion für ihn verloren war.
Barbara war weder dieser nette alte Herr noch sein ein wenig melancholisch wirkender Juniorpartner unsympathisch. Wenn es sich um die beiden allein gehandelt hätte, dann wäre sie nicht dagegen gewesen, daß die Herren sich hier für Wochen und Monate einnisteten. Daß aber Herr Keyser eine Tochter mitgebracht hatte, komplizierte den Fall außerordentlich! Ganz besonders deshalb, weil dieses Fräulein Marion in eine Situation hineingeschneit war, in der es Michael geradezu wie ein Wink der rächenden Vorsehung erscheinen mußte, das blöde Spiel mit Barbara zu beginnen. Als erschwerender Umstand trat hinzu, daß Michael mit seinen Spielereien immer so hartnäckig war. Und Barbara war nicht gesonnen, sich den kostbaren Urlaub verderben zu lassen. Man mußte einfach Michael das Spielzeug wegnehmen, ob es nun aus Angelgerten oder aus kleinen abenteuerlustigen Mädchen bestand. Infolgedessen war es klar, daß die unerwarteten Gäste so rasch wie irgend möglich abgeschoben werden mußten!
»Wann gedachten Sie von hier aufzubrechen, Fräulein Holl-stein?« fragte Herr Steffen in das lange, unbehagliche Schweigen hinein.
Barbara biß sich auf die Lippen. Die dumme Lügerei war ihr ehrlich zuwider: »Ich war vor ein paar Minuten noch fest entschlossen, im Laufe des Vormittags abzufahren. Aber jetzt bin ich neugierig zu erfahren, was Sie weiter tun werden und welche Vorschläge Ihnen Fräulein Keyser machen wird. Sie scheint sich ja mit Herrn Prack recht eingehend über Ihr Schicksal zu unterhalten.«
Herr Keyser lächelte säuerlich, und Steffen blinzelte nervös und rieb sich das stachlige Kinn.
Barbara ließ die Herren sitzen und ging ans Wasser.
Auf dem linken Ufer trugen Michael und Marion anscheinend eine Wette aus, wer von ihnen zuerst die Insel erreiche. Sie rannten gleichzeitig auf einen Punkt los, der etwa hundert Schritt oberhalb der Inselspitze lag, sprangen dort fast gleichzeitig hechtend ins Wasser, kämpften im Strom Seite an Seite und hielten auf die vorgelagerten Kiesbänke zu, wo Michael es mit Geschick so einrichtete, daß Marion zuerst Fuß faßte und das Rennen gewann. Diese Art von Galanterie war an ihm sehr ungewöhnlich.
Barbara wäre dem Zusammentreffen mit Marion gern aus dem Wege gegangen, aber sie hatte Marions Landeplatz falsch berechnet und lief ihr geradewegs in die Arme.
Marion schüttelte ihr herzlich die Hand. Sie trug um ihren schlanken Hals eine eng anliegende Kette von weißen Kaurimuscheln und sah sonngebräunt und blank wie eine entzückende kleine Wilde aus, ein blondes Südseemädchen.
Michael folgte Marion in geringem Abstand.
»Wunderbares Wetter zum Fahren, wie?« sagte er ohne Gruß zu Barbara und schnitt ihr hinter Marions Rücken eine abscheulich höhnische Fratze.
Barbara schöpfte mit den Händen Wasser über ihre Knie.
»Oh — ich habe Zeit«, sagte sie kühl.
»Sie sind wirklich nicht sehr nett zu Fräulein Hollstein«, flüsterte Marion, als sie sich mit Michael ein paar Schritte entfernt hatte, »was haben Sie eigentlich gegen sie? Schon gestern abend behandelten Sie sie nicht gut. Und sie ist doch wirklich ein nettes Mädchen.«
»So, finden Sie das?« fragte er laut genug, daß Barbara jedes Wort verstehen konnte. »Ich kann mir nicht helfen, aber mir geht sie auf die Nerven! Sie hat so etwas Patziges an sich«, er streifte Marion mit einem feurigen Blick, »mein Typ sieht jedenfalls anders aus!«
»Schafskopf!« sagte Barbara laut und deutlich und stieg langsam ins frische Wasser. Sie zog die Badekappe über die Haare und arbeitete sich mit ein paar kräftigen Stößen in die Strömung hinein. Dann ließ sie sich auf dem Rücken treiben. Zwischen ihren dunklen Brauen stand eine senkrechte Falte. Das Wasser schnitt vor Kälte. Sie warf sich herum, kraulte eine Weile, um sich warm zu machen, gegen den Strom und wählte, als sie schließlich müde wurde, das rechte Ufer, um an Land zu klettern.
Als sie nach kurzem Lauf auf dem aus Quadern zusammengefügten Uferdamm in gleicher Höhe mit der
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