Die Leute mit dem Sonnenstich
sieben jungen Geißlein schnarchte und, von mancherlei Alpdrücken geplagt, laut im Schlaf stöhnte und ächzte, war für die übrigen Parteien der Tag noch lange nicht zu Ende. Zu beiden Seiten der Stacheldrahtverhaue von Empörung, Trotz und Eifersucht erblühten in dem Zauber einer milden Mondnacht die wundervollen Blumen der Romantik und der Liebe. Künstliche Blumen zwar, aber wer wollte das beim Licht des Mondes schon feststellen.
Thomas Steffen, der eine heimliche Neigung für die Dichtkunst hatte und diese Neigung bei Barbara ebenfalls entdeckte, veranstaltete zu Ehren seiner Dame eine Art literarischen Freiluftabend, der sich von weitem sehr gefährlich anhörte. Zumal bei Leuten wie Michael, der in der Literatur aller Völker und Zeiten nur sehr wenig beschlagen und überdies eifersüchtig genug war, die bezaubernden Verse arabischer Liebeslyrik — minnigliche Strophen Abu Dschafars und Ibn Hazms — für Thomas Steffens eigene und spontane Ergüsse zu halten. Michael, der gelegentlich einen Kriminalroman und sonst nur technische Bücher und Zeitschriften las, konnte Marion keine literarische Feierstunde bieten, dafür entsann er sich seines Talentes, vermittels knallender Lippengeräusche und schwellender Summtöne mit Nasalresonanz eine schluchzende Hawaiigitarre täuschend ähnlich nachzuahmen. Auf diese Weise spielte er Marion, die eine beschlagene Textkennerin war und ein hübsches Begleitstimmchen hatte, ein Dutzend Lieder vor, in denen sehr viel von Mondnächten, blauem Meer, braunen Mädchen und roten Lippen die Rede war. Und obwohl diese Melodien und Texte allesamt aus den honigsüßen Ingredienzien von Schlagrahm, Rosenwasser, Himbeersoße und Vanillezucker bestanden, verwandelten sie sich, sobald sie den imaginären Drahtverhau passierten, in gärendes Drachengift.
Und vielleicht — vielleicht — zielte hinter diesem Wechselspiel von Gesang und Deklamation tatsächlich der kleine Gott mit seinen brennenden Pfeilen.
Thomas Steffen war von Marion so tief enttäuscht worden, daß es ihm nicht schwergefallen wäre, sein gedemütigtes und lädiertes Herz bei Barbara in Pflege zu geben. Barbara liebte Michael. Ganz ehrlich und bedingungslos. Sie liebte ihn so, wie er war. Aber die Gedanken, die vor kurzer Zeit ihn bewegt hatten, gingen auch ihr durch den Kopf. Vielleicht hatte diese Verstimmung zwischen ihnen doch tiefere Ursachen? Wie hätte es sonst wegen einer zerbrochenen Angelrute zu solch einer bösen Entzweiung kommen können? War dieser erste große Krach etwa ein Warnungssignal? Ein Wink des Schicksals, sich sorgfältiger zu prüfen?
Sie wurde um so unsicherer, je länger sie darüber nachdachte. Liebte sie Michael wirklich so, wie er nun einmal war? War es nicht oft genug geschehen, daß sie sich ihn zuweilen ein wenig anders gewünscht hatte? Je nach Stimmung. Einmal ein wenig zarter. Einmal etwas kühner. Oder gebildeter. Oder gepflegter. Eleganter, geistreicher, liebenswürdiger. Hm.
In jedem Menschen lebt ein Abglanz und Erbteil des Schöpfers. Auch Barbara hatte sich einmal ein Ideal geschaffen, nach dem sie ihren zukünftigen Mann, den Vater ihrer Kinder, wählen wollte. Eine sehr merkwürdige Figur, in Traumretorten zusammengebraut. Ein Wunschmännchen, ein Homunkulus aus den Extrakten geheimer Sehnsüchte. Ein Draufgänger wie Kirk Douglas, mit dem Charme von Jean Marais, den Händen von James Mason, der Erfahrung von Maurice Chevalier, der lässigen Eleganz von James Stewart. Erwachte sie, dann war sie von Herzen froh, daß es zum Glück nur Männer und Frauen, aber keine Traumfiguren gab, Zwitterwesen, letzthin überhaupt ohne Eigenschaften. Aber wie das so ist, an diesen Wunschmännchen und Traumdamen strauchelt manchmal die beste Einsicht.
Nun — Thomas Steffen war wirklich nicht solch ein Homunkulus, aber selbstverständlich besaß er in seinem Wesen Züge, die Michael fehlten und die sich Barbara manchmal an ihm wünschte.
Und da Michael aus Zorn und Trotz zu straucheln bereit war, entdeckte er an Marion Eigenschaften, die er manchmal an Barbara vermißte.
Und Thomas Steffen entdeckte an Barbara das, was er an Marion gern gesehen hätte.
Marion aber war am besten dran. Denn für sie gab es überhaupt keine Gedanken dieser Art und auch keinen Vergleich. Michael war genau der Mann, dem zu begegnen sie sich immer gewünscht hatte.
Dies war für alle Beteiligten eine äußerst gefährliche Situation. Der kleine Gott schwebte über der Insel und zielte. Weiß der
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