Die Leute mit dem Sonnenstich
ab, denn er befürchtete eine Wiederholung des gestrigen Zusammenstoßes. »Aber daß er so einfach verschwindet! Daß er uns beide im Stich läßt und sich wie ein Abenteurer aufführt! Wie ein Casanova unter unseren Augen! Das wirft mich um. Ich habe Steffen für einen soliden, grundanständigen und wohlerzogenen Mann gehalten, und wirklich, Marion, ich hätte auf ihn Häuser gebaut und niemals daran gedacht, an ihm solch frivole Züge zu entdecken, wie er sie gestern und« — mit einer grämlichen Handbewegung auf den leeren Bootsplatz hin — »heute gezeigt hat! So sehr kann man sich in einem Menschen täuschen!«
Herr Keyser war schwer erschüttert und tief beschämt, er stand unsicher vor seiner Tochter, als wanke der Boden unter seinen Füßen. Marion klopfte ihm wie einem alten Freund auf die Schulter, sie streichelte auch leicht über seinen blanken Schädel. Ihr wortloses Verständnis rührte ihn. Sie verwöhnte ihn so selten mit Zärtlichkeiten. Seine Kleine, die ihn so sehr an die Unvergessene erinnerte, die allzu jung und viel zu früh von ihm geschieden war.
»Ach, Mariönchen, Kind«, murmelte er mit erstickter Stimme, »verzeih mir! Ich alter Kerl habe wahrhaftig zu sehr an mich selber gedacht. Ja, ich bin selbstsüchtig gewesen. Nicht, als ob ich damit nicht auch dein Bestes im Auge gehabt hätte, aber...«
»Ja, Paps — ich weiß schon Bescheid!« Sie legte den Arm um seine Schulter, kameradschaftlich und burschikos, und sie lächelte ihn an, aber sie war mehr erschüttert, als sie es nach außen hin zeigte. Er war schon ein netter Alter Herr, der beste Vater, den man sich wünschen konnte. Aber er schüttelte den Kopf, als wolle er das bestreiten.
»Nein, Marion«, sagte er rauh, »ich verspreche dir, nie mehr in deine Angelegenheiten dreinzureden. Und ich werde nie mehr Schicksal zu spielen versuchen. Es steht mir nicht an und kommt mir auch nicht zu. Es wird immer nur Unsinn daraus und vielleicht noch Schlimmeres, wenn man solche Geschichten macht wie ich. Und ich bin nur von Herzen froh, daß alles noch so gut abgelaufen ist und daß jener Kerl« — mit einer verächtlichen Daumendrehung auf Thomas Steffens Zelt hin — »sein wahres Gesicht zur rechten Zeit gezeigt hat. Es ist schlimm, daß man als Mann so instinktlos ist — daß man sich durch Bügelfalten, stilvolle Krawatten, eben durch die äußere Politur, so leicht übertölpeln läßt. Ein Glück nur, daß du von Anfang an mehr Menschenkenntnis bewiesen und diesen leichtsinnigen Heuchler durchschaut hast!«
Er sah sich scheu um: »Aber ob der andere Kerl gerade besser ist!« brummte er und streichelte zart Marions gerötete Schultern.
»Aber Paps!« rief sie und hob warnend den Zeigefinger. »Wo bleiben deine feierlichen Versprechen?«
Herr Keyser begriff nicht sofort, was seine Tochter damit sagen wollte. Aber dann kam ihm doch die Erleuchtung.
»Nimm’s mir nicht übel, Kind«, seufzte er zerknirscht und reumütig, »ich bin anscheinend unverbesserlich.« Und er zog, unzufrieden mit sich selbst, zur Hütte ab. Auch sein Opfer, die Insel kahlzufressen und die Gesellschaft damit zum Abzug zu zwingen, war umsonst gewesen. Was lag näher, als daß dieser widerwärtige Herr Prack annehmen würde, sein Sozius Steffen und das fremde Mädchen hätten die Vorräte mitgenommen. Vielleicht, daß man irgendwo noch irgend etwas Eßbares fand, um zum Frühstück nicht mit einer Tasse Kaffee allein vorliebnehmen zu müssen. Aber außer ein paar Fleischbrühwürfeln und einer Tüte mit Sternchennudeln war nichts zu entdecken. Er hatte gestern mit den Vorräten wirklich gründlich aufgeräumt.
8
Barbara und Thomas Steffen steuerten das Floß des Ingolstädter Ruderklubs an, da sie nicht wußten, daß sich das Bootshaus des Kanuverbandes erst hinter der Straßenbrücke befand.
Es war ein langes Anlegefloß, an dem leicht zwei Rennachter hintereinander Platz fanden. Aus dem Fluß stieg eine breite Betontreppe in Floßlänge zu den Rasenflächen empor, die vor dem Vereinshaus lagen. Rechts und links neben dem Rudererheim waren die hohen und engmaschigen Drahtnetze einiger Tennisplätze gespannt, und die ganze Anlage machte solch einen verteufelt feinen und teuren Eindruck, daß Barbara sofort befürchtete, hier an der falschen Hausnummer abgestiegen zu sein. Denn die Faltbootvereine sind jünger als die Ruderklubs, ihre Mitglieder paddeln selber, und es mangelt ihnen leider an jenem sportbegeisterten Stamm >Alter Herren«, die zwar für
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