Die Leute mit dem Sonnenstich
aktive körperliche Anstrengungen zu faul geworden sind und sich lieber aufs Zuschauen beschränken, dafür aber um so freigebiger und zahlungskräftiger sind und mit Regattenpokalen und noblen Zuwendungen für die Ausstattung der Klubheime sorgen.
Selbstverständlich hatte dieser Klub seinen ständigen Hausmeister, aber die Fenster seiner Wohnung waren mit Läden verschlossen, und Thomas Steffen war mangels eines gutsitzenden eigenen Anzugs und eigener Zahlungsmittel unsicher geworden und getraute sich nicht, den Hauswart aus dem Morgenschlummer zu klopfen. Paddler und Ruderer sind einander nämlich nicht sehr gewogen, und als simpler Faltbootfahrer den Klubwart eines Rudervereins zwischen fünf und sechs Uhr morgens zu wecken, konnte Verwicklungen heraufbeschwören, denen sich Thomas Steffen in diesem Lande schon rein dialektmäßig nicht gewachsen fühlte.
So zurrten sie also die Boote am Floß fest und beschlossen, auf der terrassenförmigen breiten Treppe so lange zu warten, bis sie hier Aufnahme finden oder an den richtigen und für sie zuständigen Platz gewiesen würden. Übrigens waren sie hier gefangen, denn das ganze Grundstück umgab ein hoher Stacheldrahtzaun, der zu beiden Seiten bis ins Wasser hineingeführt war und dort in spitzen Fangeisen auslief.
Alles war still. Die ganze Stadt schlief noch. Nur oberhalb der Brücke, wo Sandbänke den Strom auf eine Breite von wenig mehr als zwanzig Schritten einschnürten, zogen drei Fischer unermüdlich und ergebnislos ein großes Schleppnetz durchs Wasser.
Die Steintreppe strömte die Kühle der Nacht aus, und man mußte sich schon etwas Warmes unterlegen, damit die Kälte nicht bis ins Mark drang. Barbara holte eine Decke aus dem Boot, breitete sie aus, und so saßen sie denn einträchtig nebeneinander und bibberten in den kraftlosen Strahlen der Morgensonne. Da die Druckerei, mit der Thomas Steffen in Geschäftsverbindung stand, erst um acht öffnete und er die Privatanschrift des Geschäftsfreundes nicht kannte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Stunden abzuwarten.
Kurz nach ihrem Erkundungsgang um das Haus und die Anlagen brachte ein Bäckerjunge einen Beutel voller frischer Brötchen, den er draußen am Drücker der verschlossenen Pforte anhängte. Nicht lange danach stellte sich auch der Milchmann ein und setzte zwei Literflaschen vor dem Tor ab.
Thomas Steffen zog sich bei diesem Anblick der Magen zusammen. Schließlich war er jetzt seit zwölf Stunden ohne Nahrung und hatte eine stundenlange Faltbootfahrt hinter sich. Aber er wagte nichts zu sagen. Barbara war ihm unheimlich geworden Und richtig, schon das bloße Denken in ihrer Gegenwart schien 1 gefährlich zu sein. Denn nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander gehockt und den fleißigen Fischern zugesehen hatten — ein harter Beruf, der nichts einbrachte —, deutete Barbara auf die Milch und auf die duftenden Brötchen und fragte unternehmungslustig: »Na, wie war’s mit einem kleinen Frühstück?«
»Um Himmels willen!« Er erschrak bis in seine Seele hinein. »Ihr Leichtsinn, Fräulein Holls-tein, wird uns beide noch ins Kittchen bringen!«
»Aber Herr Steffen, doch nicht wieder so!« sagte sie mit einer drehenden Handbewegung nach rückwärts. »Sondern bar bezahlt selbstverständlich.«
»Ich rücke nicht einen Pfennig heraus!« stieß er hervor und preßte die fremde Brieftasche mit beiden Händen fest gegen seine Brust.
Barbara machte ein gekränktes Gesicht: »Was denken Sie eigentlich von mir, Herr Steffen? Glauben Sie vielleicht im Ernst, daß ich ohne eigenes Geld und nur mit der Hoffnung, fremde Anzüge mitsamt den darin befindlichen Brieftaschen zu stehlen, auf eine vierzehntägige Faltbootfahrt gegangen bin?«
»Entschuldigen Sie!« bat Thomas Steffen sehr verlegen. Aber war es etwa ein Wunder, daß er nervös und mißtrauisch geworden war? »Ich halte es auf jeden Fall für besser, abzuwarten, bis das Haus aufgemacht wird. Wir kennen den Verwalter nicht und wissen nicht, wie er solch einen Eingriff auffassen würde — selbst, wenn Sie hinterher bereit sein mögen, ihm den doppelten Preis zu zahlen.«
»Sie brauchen es mir nicht auszureden«, sagte Barbara kühl, »wenn Sie es aushalten, mir soll es nur recht sein.« So saßen sie denn am Fluß und warteten weiter. Im Hause rührte und regte sich nichts. Wenn nicht Milch und Brot davor abgestellt worden wären, hätte man daran zweifeln können, daß es überhaupt bewohnt sei.
Wenigstens stieg inzwischen
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