Die Leute mit dem Sonnenstich
die Sonne höher und wärmte die Treppe allmählich angenehm ein. Sie konnten beide die Wärme vertragen. Drüben, am anderen Donauufer, hißten ein paar Buben eine Fahne über der roten Zitadelle der alten Festungsanlage, die jetzt anscheinend als Jugendherberge diente. Die drei Fischer oberhalb der Brücke zogen noch immer ihr Netz durch den Strom, unermüdlich und unentwegt erfolglos.
Thomas Steffen war schweigsam geworden. Aber manchmal zuckten seine Hände, und er bewegte die Lippen, als arbeite er an einer Ansprache. Er sah beharrlich an Barbara vorbei und war so in Gedanken versunken, daß ihn nicht einmal ein schwerfällig stromauf tuckernder Schleppzug des staatlichen Flußbauamtes abzulenken vermochte, dessen schwer beladene Prähme Steine und Sand für neu zu errichtende Dammbauten mitführten. Der Schleppzugführer, ein Damenfreund wie die meisten Steuermänner, mögen sie nun der Hochsee- oder Binnenflotte angehören, winkte Barbara munter zu.
»Ich fühle mich verpflichtet, Fräulein Holls-tein«, sagte Herr Steffen plötzlich in das endlose Schweigen hinein, »Ihnen einige Erklärungen abzugeben.«
»Schießen Sie schon los!« nickte Barbara ihm zu. Sie schien von seiner Feierlichkeit und steifen Würde wenig beeindruckt zu sein. Oder ahnte sie schon, was nun kommen würde?
Er wand sich, er räusperte sich, er stockte und schluckte und verdrehte den Hals. Er begann damit, daß er behauptete, nicht zu wissen, aus welchem Grunde Barbara so freundlich zu ihm gewesen sei und so viel Anteilnahme an seinem Geschick oder vielmehr Mißgeschick genommen habe. Und es täte ihm leid, aufrichtig leid, wenn sie an die gemeinsamen hübschen Stunden auf jener Insel, an die er sich sein Leben lang gern erinnern werde, hm — an diese Stunden natürlich, weniger an die Insel! — wenn sie selber an diese Stunden vielleicht — oder wegen dieser reizenden Stunden zu der Meinung gekommen sei, beziehungsweise zu der Ansicht, nicht wahr, daß er damit gewisse Zukunftsverpflichtungen übernommen oder gar Versprechungen gemacht hätte, die er vor seinem Gewissen und auch aus dem Gefühl, zur Ehrlichkeit verpflichtet zu sein, hm...
Er brach stotternd ab und wischte sich mit dem Ärmel der fremden Jacke den Schweiß von der Stirn. Nein, so ging es nicht weiter. Auf diese Weise jedenfalls nicht. Er bewegte den Mund wie ein an Land geworfener Fisch und setzte zu einem neuen, besseren Anfang an.
Barbara spielte mit der Zunge hinter der Wange und sah ihn mit erwartungsvollen Blicken an. Sie war boshaft genug, sogar ein wenig mißtrauisch und ängstlich dreinzuschauen, was ihn vollends verwirrte. Natürlich hätte sie ihm bereits nach den ersten drei Worten auf die Schulter klopfen und alles Weitere abwinken können, aber es war so unterhaltend, Herrn Steffen zappeln zu sehen. Und außerdem verging die Zeit damit rascher, denn irgendwann einmal mußten die grünen Fensterläden dieses verschlafenen Klubhauses doch endlich aufgestoßen werden.
»Um es kurz zu machen, Fräulein Holls-tein: Ich fühle mich verpflichtet, etwas zwischen uns klarzus-tellen.«
»O bitte, sprechen Sie sich nur aus«, sagte sie und rückte näher an ihn heran, als wolle sie ihren Kopf auf seine Schulter legen. »Ich weiß doch, Herr Steffen, Sie gehören nicht zu den Männern, die am Morgen nicht mehr wissen, was sie am Abend vorher versprochen haben.«
Er schloß die Augen. Lieber Gott, das war ja noch schlimmer, als er je gedacht hätte! Und wie dieses Mädchen auf einmal sprach! Als bezöge sie ihre Sätze aus den übelsten Hintertreppenromanen! Er nahm alle Kraft zusammen.
»Es tut mir sehr leid, daß ich Sie wahrscheinlich enttäuschen muß«, sagte er hart und entschlossen, seine Sache durch alle Klippen hindurchzusteuern. »Versuchen Sie, bitte, mich zu verstehen! Ich bin nämlich nicht zufällig, sondern mit der festen Hoffnung, mich Fräulein Marion Keyser, der Tochter meines verehrten Seniorpartners, kameradschaftlich und menschlich zu nähern, auf jene Faltbootfahrt gegangen, deren Ende auf der Insel Sie kennen. Und ich muß Ihnen ges-tehen, daß ich — trotz allem, was dort geschehen ist, ja, vielleicht erst durch die Vers-timmung zwischen Fräulein Marion und mir — noch s-tärker zu der Überzeugung gelangt bin, daß ich den Kampf um Marion nicht aufgeben darf.«
»Sagen Sie einmal«, fuhr Barbara in gut gespielter Entrüstung auf, »haben Sie mich etwa deshalb entführt, um mir dieses Geständnis zu machen?«
»Ich hätte Sie
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