Die Leute mit dem Sonnenstich
entführt!« rief er entsetzt. »Ganz im Gegenteil! Sie waren es, die mich dazu veranlaßt hat, von der Insel zu flüchten!«
Barbara ließ den Kopf sinken, es sah aus, als kämpfe sie mit sich und als risse sie sich nur mit Mühe von dem wundervollen
Gedanken los, ihr Leben als Gattin des Juniorchefs der >Keyserschen Druckanstalt< in Wohlstand und Glück zu verbringen.
»Ja, wenn die Sache natürlich so steht«, sagte sie schließlich und ließ die Arme sinken, »dann wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als zu entsagen.«
Herr Steffen atmete befreit auf, er hatte nicht zu hoffen gewagt, diese peinliche Geschichte so rasch zu einem guten Ende zu bringen. Trotzdem beteuerte er, er habe es gewußt, daß er bei ihr auf Verständnis treffen werde. »Und ob Sie bei mir auf Verständnis stoßen«, sagte Barbara lächelnd und zwinkerte ihm zu, »oder denken Sie etwa, daß ich mit Ihnen zum Vergnügen von der Insel ausgerückt bin? Glauben Sie mir, ich hätte keinen Begleiter gebraucht. Aber ich wollte Ihnen doch helfen.«
Er starrte sie an: »Verzeihen Sie, Fräulein Holls-tein, aber ich vers-tehe kein Wort.«
»Aber Herr Steffen, die Geschichte ist doch ganz einfach. Schauen Sie, Ihrer Marion muß man imponieren, wenn man sie erobern will. Stimmt’s? Na, sehen Sie! Und Sie waren ihr einfach zu zahm. Das ist alles. Und da stießen Sie zu allem Unglück bei Ihrer unfreiwilligen Landung auf der Insel auf diesen Herrn Prack. Ingenieur! Persienfahrer! Sportsmann und Flieger.«
»Alles zugegeben«, knurrte er erbittert, »aber schließlich sind wir eine Druckans-talt, und ich möchte doch s-tark bezweifeln, daß dieser Herr Prack ims-tande ist, auch nur die einfachste Preiskalkulation durchzuführen oder einen einzigen größeren Auftrag hereinzubekommen!«
»Sicherlich nicht«, gab Barbara zu, »aber es fragt sich, ob Fräulein Keyser nicht auf andere Eigenschaften als auf kaufmännische und organisatorische Fähigkeiten Wert legt.«
»Ich vers-tehe es nicht«, murmelte Herr Steffen düster; »aber ich meine doch, in ihrem Alter müßte sie gelernt haben, einen Menschen nicht nur nach seinen s-portlichen Leis-tungen und nach seinem Äußeren zu beurteilen, sondern auch seinen Charakter zu prüfen.«
»Das müssen Sie Fräulein Keyser erzählen.«
»Gewiß, Sie haben ganz recht, Fräulein Holls-tein, aber dazu ist es jetzt leider zu s-pät! Diese Gelegenheit wird sich mir leider nicht mehr bieten. Jetzt ist alles vorbei. Ich hätte niemals auf Sie hören dürfen! Ich hätte mich niemals von Ihnen dazu verlei-ten lassen sollen, auszurücken. Damit habe ich die letzte Chance verpaßt.«
Barbara hob die Hand und tippte ihm mit der Spitze des Zeigefingers vertraulich, als würden sie einander von klein auf kennen, gegen die umwölkte Stirn: »Aber Herr Steffen, was fällt Ihnen denn ein? Das war doch mein gescheitester Gedanke seit Jahr und Tag! Ich habe Sie doch von der Insel verschleppt und für Sie gestohlen, damit es wenigstens so aussieht, als ob Sie einmal etwas angestellt hätten! Verstehen Sie denn nicht? Ich habe es doch getan, um Ihnen zu helfen! Damit Ihre Marion endlich einmal auf Sie aufmerksam wird! Damit sie endlich Augen dafür bekommt, was für ein Mordskerl Sie in Wirklichkeit sind!«
»Dann haben Sie also alles gewußt?« fragte er verblüfft.
»Selbstverständlich, denn ich bin ja weder blind noch taub. Ich lag doch hinter dem Zeltvorhang in der Hütte, als Herr Keyser mit Ihnen über die Hoffnungen sprach, die Sie beide auf Ihre Reise gesetzt hatten.«
Thomas Steffen schluckte.
»O Fräulein Holls-tein, seien Sie mir nicht böse, daß ich Sie ganz falsch eingeschätzt habe. Ich habe Ihnen viel, sehr viel abzubitten...«
Barbara wehrte großzügig ab.
»... aber«, fuhr er verzagt und unsicher fort, »jetzt bleibt doch noch die Frage bes-tehen, ob dieser tolle Piratens-treich auch die gewünschte Wirkung erzielen wird oder ob er nicht mehr verdorben als gutgemacht hat.«
Leider wurde ihr Gespräch an diesem wichtigen Punkt unterbrochen, denn hinter ihnen klirrten die Fensterläden kräftig gegen die Verschalung des Hauses, und bald darauf schlurfte ein Mann in Pantoffeln über den Kiesweg zum Tor, um die Milch und die Brötchen abzuholen.
Es war ein gemütlicher, verständiger Mann. Er war auch gern bereit, die Faltboote zu beherbergen. Zudem stellte es sich heraus, daß er alter Mariner war, Hamburg und die Reeperbahn nachts um halb eins gut kannte und für die Leute von der
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