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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Drogen vergrößern sollten, verwarfen das jedoch, da sie fürchteten, das könnte ihn restlos durcheinander bringen. Auf Gewalt zurückzugreifen hätte geheißen, den ganzen sauer errungenen guten Willen wieder zunichte zu machen. Außerdem waren sie Profis, und allein der Gedanke daran machte sie unglücklich. Sie zogen es vor, weiter auf dem aufzubauen, was sie bereits hergestellt hatten - auf Angst, Abhängigkeit und der Drohung des immer noch unmittelbar bevorstehenden Verhörs durch die Israelis. Folglich brachten sie ihm zunächst noch einen Brandbrief von Fatmeh, einen von Leons kürzesten und besten Briefen: »Ich habe gehört, dass Deine Stunde sehr nahe ist. Ich flehe Dich an, hab Mut!« Sie drehten das Licht an, damit er den Brief lesen konnte, dann knipsten sie es wieder aus und spielten ihm gedämpfte Schreie vor, das Geräusch, wie in der Ferne eine Zellentür ins Schloss fiel und eine zusammengebrochene Gestalt in Ketten über einen Steinflur geschleift wurde. Noch später spielten sie ihm noch die Dudelsack-Trauermusik einer palästinensischen Militärkapelle vor, und vielleicht meinte er, er sei schon tot. Zumindest lag er wie tot da. Sie schickten die Wächter zu ihm, die ihm die Kleider vom Leib rissen und ihm die Hände mit Ketten auf dem Rücken fesselten und Fußeisen anlegten. Und verließen ihn wieder. Wie für immer. Sie hörten, wie er »Oh, nein!« murmelte, wieder und wieder.
    Sie zogen Samuel dem Pianisten einen weißen Kittel an, drückten ihm ein Stethoskop in die Hand und ließen ihn ziemlich unbeteiligt Yanukas Herztöne abhorchen. All das im Dunkeln, aber vielleicht nahm er den weißen Kittel doch wahr, als dieser um ihn herumstrich. Und wieder ließen sie ihn allein. Im Infrarot-Licht sahen sie ihn schwitzen und erschauern; einmal schien er zu überlegen, ob er sich nicht umbringen solle, indem er mit dem Kopf gegen die Mauer rannte, die einzige Bewegung, die er in seinem angeketteten Zustand einigermaßen hätte zuwege bringen können. Aber die Wand war dick mit Kapok gepolstert; selbst wenn er ein ganzes Jahr lang dagegen gerammt wäre, es hätte ihm nicht viel genützt. Sie spielten ihm noch mehr Schreie vor - dann herrschte tiefstes Schweigen. Sie feuerten im Dunkeln einen Pistolenschuss ab. Er kam so unvermittelt und laut, dass Yanuka sich aufbäumte. Dann fing er an zu schreien, allerdings ziemlich leise, als ob er es nicht lauter schaffte. Das war der Augenblick, da sie beschlossen, ans Werk zu gehen.
    Als erster marschierten die Wächter zielstrebig in seine Zelle, packten ihn jeder an einem Arm und stellten ihn auf die Beine. Sie hatten sich sehr leicht gekleidet, als ob sie erwarteten, sich körperlich sehr anstrengen zu müssen. Als sie den zitternden Körper bis an die Zellentür geschleift hatten, tauchten Yanukas zwei Schweizer Retter auf und versperrten ihnen den Weg, ihre freundlichen Gesichter waren ein Bild der Empörung und Besorgtheit. Zwischen den Wächtern und den Schweizern entspann sich ein in die Länge gezogener, leidenschaftlicher Streit - und zwar auf hebräisch, so dass Yanuka ihm nur teilweise folgen konnte, doch klang das Ganze nach einem letzten Appell. Yanukas Verhör müsse noch vom Kommandanten gebilligt werden, erklärten die beiden Schweizer: laut Verfügung 6, Absatz 9 der Genfer Konvention sei strikt darauf zu achten, dass härtere Belastung der Gefangenen ohne direkte Billigung des Kommandanten und ohne Anwesenheit eines Arztes nicht gestattet seien. Aber den Wachen war die Konvention keineswegs egal und das sagten sie auch. Sie hätten sich die Konvention eingetrichtert, bis sie ihnen zu den Ohren herausgekommen sei, erklärten sie und zeigten dabei auf die Ohren. Ums Haar wäre es zu einem Handgemenge gekommen. Nur schweizerische Nachsicht verhinderte es. Statt dessen einigten sie sich, dass sie alle vier zum Kommandanten gehen würden, und zwar auf der Stelle , damit der sofort entscheide. Also stürmten alle vier fort, so dass Yanuka wieder im Dunkeln lag, und bald konnte man sehen, wie er sich an der Wand zusammenkauerte und betete, obwohl er beim besten Willen nicht wissen konnte, wo Osten war.
    Beim nächsten mal kehrten die beiden Schweizer ohne die Wächter zurück, machten jedoch sehr ernste Gesichter und brachten Yanukas Notizbuch mit, als ob sich dadurch, mochte es auch noch so klein sein, alles änderte. Außerdem hatten sie zwei Reservepässe dabei, einen französischen und einen zypriotischen, die unter den Dielenbrettern

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