Die Libelle
Verbindung zu befreundeten Geheimdiensten nicht mehr zu meinen offiziellen Obliegenheiten gehört«, erhob Alexis die Stimme und parodierte dabei mit Absicht die Sprache der Bonner Ministerialbürokratie: und erwartete, dass Kurtz weiter in ihn drang.
Kurtz jedoch wagte eine Vermutung, die durchaus keine Vermutung war. »Ein Koordinator trägt die administrative Verantwortung für so wichtige Dinge wie Transport, Ausbildung, Rekrutierung und hat finanziell Rechenschaft über den Operationsbereich zu geben. Und außerdem ist er verantwortlich für den Informationsaustausch zwischen den Einrichtungen des Bundes und der Länder.«
»Sie haben die Beurlaubungen ausgelassen«, wandte Alexis ein, wieder einmal ebenso amüsiert wie erschrocken darüber, wie ausgezeichnet Kurtz’ Informationen waren. »Wollen Sie mehr Urlaub, kommen Sie nach Wiesbaden, ich verschaffe ihn Ihnen. Wir haben ein außerordentlich hochkarätiges Komitee eigens für Beurlaubungen.«
Kurtz versprach das - es sei wirklich höchste Zeit, dass er einmal ausspanne, gestand er. Dieser Hinweis auf das Überarbeitetsein erinnerte Alexis an seine eigene Zeit im Sicherheitsdienst, und er schweifte ab, um von einem Fall zu erzählen, bei dem er drei Nächte hintereinander nicht geschlafen hatte - und zwar wirklich, Marty, mich nicht einmal hingelegt. Voller Mitgefühl und Hochachtung hörte Kurtz sich das an. Kurtz war ein ausgezeichneter Zuhörer, eine Spezies, der Alexis in Wiesbaden nur allzu selten begegnete.
»Wissen Sie was, Paul«, sagte Kurtz, nachdem das Gespräch auf diese Weise eine Zeitlang angenehm hin und her gegangen war, »ich bin selber auch mal Koordinator gewesen. Mein Vorgesetzter war zu dem Schluss gekommen, dass ich ein unartiger Junge gewesen sei« - Kurtz setzte ein klägliches verschwörerisches Grinsen auf -, »und machte mich zu einem Koordinator. Da habe ich mich dermaßen gelangweilt, dass ich nach einem Monat einen Brief an General Gavron schrieb und ihm offiziell mitteilte, er sei eine Flasche. ›General, dies ist offiziell. Marty Schulmann behauptet, Sie sind eine Flasche.‹ Ich musste bei ihm antanzen. Sie kennen diesen Gavron? Nicht? Er ist klein und verhutzelt, mit einer dicken schwarzen Mähne. Findet innerlich keinen Frieden. Immer voller Unruhe. ›Schulmann‹ , raunzt er mich an. ›Was hat das zu bedeuten, ein Monat, und schon schimpfen Sie mich eine Flasche? Wie sind Sie hinter mein dunkles Geheimnis gekommen?‹ -›General‹ , sage ich. ›Wenn Sie auch nur einen Funken Selbstachtung hätten, würden Sie mich in den Mannschaftsstand zurückversetzen und wieder meiner alten Einheit zuteilen, wo ich Sie nicht offen ins Gesicht beleidigen kann.« Und wissen Sie, was Misha getan hat? Er hat mich rausgeschmissen, und dann hat er mich befördert. So habe ich meine alte Einheit wiederbekommen.«
Diese Geschichte war um so erheiternder, als sie Alexis an seine eigenen vergangenen Tage als viel zitierter Außenseiter unter den aufgeblasenen Typen der Bonner Hierarchie erinnerte. So war es das Natürlichste von der Welt, dass sich ihre Unterhaltung noch einmal der Godesberger Greueltat zuwandte, denn schließlich hatten sie sich anlässlich dieses Verbrechens kennen gelernt.
»Wie ich höre, machen sie endlich ein paar Fortschritte«, bemerkte Kurtz. »Haben die Spur des Mädchens bis nach Paris-Orly zurückverfolgt - ein beachtlicher Durchbruch, auch wenn sie bis jetzt noch nicht wissen, wer sie ist.«
Alexis war nicht wenig irritiert, dieses sorglose Lob ausgerechnet aus dem Mund von jemand zu hören, den er so bewunderte und achtete.
»Das nennen Sie einen Durchbruch? Gerade gestern habe ich ihre neueste Analyse auf den Tisch bekommen. Irgendein Mädchen fliegt am Tag des Attentats von Orly nach Köln. Glauben sie. Sie trägt Jeans. Kopftuch, gute Figur, wahrscheinlich blond, aber was soll’s? Die Franzosen können nicht mal feststellen, ob sie die Maschine nach Köln überhaupt bestiegen hat. Zumindest behaupten sie das.«
»Vielleicht liegt das daran, dass sie die Maschine nach Köln gar nicht bestiegen hat«, gab Kurtz zu bedenken.
»Aber wie soll sie denn nach Köln fliegen, wenn sie nicht die Kölner Maschine besteigt?« wandte Alexis ein, der die Pointe nicht ganz mitbekommen hatte. »Diese Kretins könnten nicht mal die Spur eines Elefanten durch einen Berg Kakao verfolgen.« Die Nachbartische waren immer noch frei, und mit Bach aus dem Transistor und Oklahoma aus den Lautsprechern gab es genug Musik,
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