Die Libelle
David, der ihn schon in der Villa in Athen bedient hatte, hockte dahinter; zwei von Litvaks jungen Männern leisteten ihm Gesellschaft. Becker nickte nur flüchtig, setzte sich auf die gepolsterte Bank und machte sich an die Lektüre des dicken Packens von Fernschreiben, die schon für ihn bereitgelegt worden waren.
Die jungen Männer betrachteten ihn voller Hochachtung. Er spürte geradezu, wie sie begierig seine Ordensspangen zählten; wahrscheinlich wussten sie über seine Heldentaten besser Bescheid als er selbst.
»Sie sieht gut aus, Gadi«, sagte der Mutigere von den beiden. Becker ging nicht darauf ein. Manchmal strich er einen Absatz an der Seite an, manchmal unterstrich er ein Datum. Als er fertig war, reichte er den jungen Leuten den Packen und ließ sich von ihnen abfragen, bis er überzeugt war, dass er sich alles genau eingeprägt hatte.
Wieder draußen vor dem Caravan, blieb er wider Willen vor dem Fenster stehen und hörte, wie sie sich mit fröhlichen Stimmen über ihn unterhielten. »Die Krähe hat ihm einen Direktorenposten nur für ihn allein verschafft; er leitet irgendeine große Textilfabrik in der Nähe von Haifa«, sagte der Mutige.
»Toll«, sagte der andere. »Also gehen wir in Pension und lassen uns von Gavron zu Millionären machen.«
Kapitel 11
Für sein verbotenes, aber überaus wichtiges Wiedersehen mit dem guten Dr. Alexis am Abend desselben Tages umgab Kurtz sich mit der Haltung kollegialen, durch lange Freundschaft geprägten Einvernehmens zwischen Profis. Auf seinen Vorschlag hin trafen sie sich nicht in Wiesbaden, sondern in Frankfurt, wo die Menschenmassen dichter und mehr in Bewegung sind, in einem Hotel, das in dieser Woche die Vertreter der Plüschtier-Industrie beherbergte. Alexis hatte sein Haus vorgeschlagen, doch das hatte Kurtz mit versteckten Andeutungen abgelehnt, die Alexis augenblicklich witterte. Es war zehn Uhr abends, als sie sich trafen, und die meisten Delegierten waren auf der Suche nach anderen Kuscheltieren bereits in die Stadt ausgeschwärmt. Die Bar war dreiviertel leer, und wenn man sie so sah, waren sie auch nichts anderes als zwei Geschäftsleute, die über einer Schale mit Plastikblumen die Probleme der Welt lösten. Was sie in gewisser Weise ja auch taten. Aus den Lautsprechern rieselte Musik vom Band, doch der Barkeeper hörte in seinem Transistorradio ein Bach-Programm.
In der Zeit seit ihrer ersten Begegnung schien das, was in Alexis wider den Stachel gelockt hatte, endgültig eingeschlafen zu sein. Über ihm lagen die ersten schwachen Schatten des Versagens wie eine sich ankündigende Krankheit, und sein Fernseh-Lächeln war von einer neuen Bescheidenheit, die ihm gar nicht stand. Kurtz, der sich anschickte, seine Beute endgültig ins Netz zu bekommen, vermerkte das dankbar mit einem einzigen Blick - Alexis, weniger dankbar jeden Morgen, wenn er allein im Badezimmer die Haut um die Augen zurückschob und kurz die Reste seiner schwindenden Jugendlichkeit wiederbelebte. Kurtz überbrachte Grüße aus Jerusalem und als Mitbringsel ein Fläschchen trüben Wassers -echtes Jordan-Wasser, wie auf dem Etikett bestätigt wurde. Er habe gehört, die neue Frau Alexis erwarte ein Baby, und meinte, das Wasser könne daher gelegen kommen. Diese Geste rührte Alexis und amüsierte ihn irgendwie mehr, als der Anlass eigentlich gerechtfertigt hätte.
»Aber dann haben Sie es früher erfahren als ich«, verwahrte er sich, nachdem er die Flasche höflich erstaunt betrachtet hatte. »Ich hab’s ja noch nicht einmal meinen Mitarbeitern gesagt.« Und das stimmte: Sein Schweigen war gleichsam ein letztes Rückzugsgefecht gewesen, um die Empfängnis doch noch zu verhüten.
»Eröffnen Sie es ihnen, wenn es vorüber ist, und entschuldigen Sie sich dann«, schlug Kurtz nicht ohne Hintersinn vor. Still, wie es sich für Leute gehört, die nicht viele Umstände machen, tranken sie auf das Leben und eine bessere Zukunft für das ungeborene Kind des Doktors.
»Wie ich gehört habe, fungieren Sie jetzt als Koordinator«, sagte Kurtz mit einem Aufblitzen in den Augen.
»Auf alle Koordinatoren«, erwiderte Alexis ernst, und sie nippten noch einmal an ihrem Glas. Sie beschlossen, sich mit Vornamen anzureden, doch behielt Kurtz trotzdem das förmliche Sie statt des Dus bei. Er wollte nicht, dass seine Überlegenheit Alexis gegenüber untergraben wurde.
»Dürfte ich fragen, was Sie koordinieren, Paul?« fragte Kurtz.
»Herr Schulmann, ich muss Ihnen mitteilen, dass die
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