Die Libelle
knubbeligen Finger vor, wie sie nervös an seinem ständigen Lächeln herumzupften; wie er den dicken Unterarm hob, um - ohne richtig hinzusehen - einen Blick auf die Uhr zu werfen. Endlich geht’s hinaus ins Dunkel, dachte Litvak, während er beobachtete, wie die frühe Dämmerung einsetzte. Und auf das Dunkel haben wir uns all diese Monate über gefreut. Eine Stunde verging. Der gute Priester Udi bezahlte seine bescheidene Rechnung und verschwand frommgemessenen Ganges in einer Seitenstraße, um sich auszuruhen und in der sicheren Wohnung sein Äußeres zu verändern. Die beiden Mädchen waren endlich mit ihrem Brief fertig und brauchten eine Briefmarke. Als sie eine hatten, gingen sie aus demselben Grund. Zufrieden beobachtete Litvak, wie die Ablösungen ihre Positionen einnahmen: ein ziemlich mitgenommener Wäschereiwagen; zwei Anhalter, die ein spätes Mittagessen brauchten; ein italienischer Gastarbeiter mit einer Mailänder Zeitung, der einen Kaffee trank. Ein Polizeiauto fuhr auf den Platz und drehte langsam drei Ehrenrunden, aber weder der Fahrer noch sein Kollege zeigten auch nur das geringste Interesse für einen geparkten roten Mercedes mit dem Zündschlüssel im Auspuffrohr. Um zwanzig vor acht marschierte - was die Erregung der Beobachter beträchtlich steigerte - eine fette Frau direkt auf den Wagenschlag zu, zwängte einen Schlüssel ins Schloss, bot die komödienreife Darstellung einer Spätzündung und fuhr statt dessen mit einem roten Audi davon. Sie hatte sich einfach im Wagen geirrt. Um acht drehte ein schweres Motorrad rasch eine Runde und knatterte so schnell wieder davon, dass keiner Zeit fand, sich das Kennzeichen zu notieren. Beifahrer auf dem Soziussitz, lange Haare, könnte eine Frau gewesen sein; sahen aus wie zwei junge Leute auf einer Spritztour. »Kontakt?« erkundigte sich Litvak über Funk.
Die Ansichten waren geteilt. Zu unbekümmert, sagte eine Stimme. Zu schnell, ließ sich eine andere vernehmen - warum riskieren, von der Polizei angehalten zu werden? Litvak selbst war anderer Meinung. Eine erste Erkundung, da war er ganz sicher, sagte das jedoch nicht, weil er die anderen nicht in ihrem Urteil beeinflussen wollte. Er stellte sich darauf ein, weiter zu warten. Der Löwe hat erste Witterung aufgenommen, dachte er. Wird er zurückkommen?
Es war zehn Uhr. Die Gaststätten leerten sich. Tiefe ländliche Ruhe legte sich über die Stadt. Doch der rote Mercedes stand unberührt da, und das Motorrad war nicht zurückgekehrt.
Wer je eines beobachtet hat, weiß, dass ein leeres Auto wirklich etwas Dummes ist, wenn man es anstarrt, ohne es je aus den Augen zu lassen - und Litvak hatte schon eine ganze Menge leerer Autos beobachtet. Einfach, weil man es im Auge behält, fällt einem mit der Zeit ein, was für ein albernes Ding ein Auto eigentlich ist, wenn der Mensch fehlt, um ihm einen Sinn zu geben. Und was für ein albernes Wesen der Mensch ist, so etwas überhaupt erfunden zu haben! Nach ein paar Stunden ist so ein Auto der schlimmste Schrotthaufen, den man je im Leben gesehen hat. Man fängt an, von Pferden oder von einer Welt von Fußgängern zu träumen. Davon, von dem Schrott-Leben wegzukommen und wieder zu Fleisch und Blut zurückzukehren. Oder von dem Kibbuz, aus dem man stammt, und von seinen Orangenhainen. Von dem Tag, da die ganze Welt endlich begreift, wie gefährlich es ist, jüdisches Blut zu vergießen.
Man möchte sämtliche feindlichen Autos in der Welt in die Luft jagen und Israel für immer befreien.
Oder einem fällt ein, dass ja Sabbat ist; und dass es im Gesetz heißt, es sei besser, eine Seele durch Arbeit zu retten, als den Sabbat zu beachten und die Seele nicht zu retten.
Oder dass von einem erwartet wird, ein hausbackenes und sehr frommes Mädchen zu heiraten, aus dem man sich nicht sonderlich viel macht, sich in Herzlia mit einer Hypothek niederzulassen und in die Babyfalle hineinzutappen, ohne sich mit einem Wort dagegen zu wehren.
Oder man denkt über den jüdischen Gott und gewisse Stellen in der Bibel nach, die Parallelen zu der Situation aufweisen, in der man gerade steckt.
Aber was man auch denkt oder nicht denkt, und was immer man tut, wenn man so gut ausgebildet ist wie Litvak und wenn man das Kommando führt und wenn man einer von denen ist, für die die Aussicht auf einen Schlag gegen die Verfolger des Judentums eine Droge ist, von der man nie wieder loskommt, lässt man die Augen
keine Sekunde von dem Auto.
Das Motorrad war
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