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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Und sich danach der Reisegruppe angeschlossen, um unbemerkt über den Marktplatz zu gelangen. Das Herz hüpfte ihm immer noch vor Freude, als sie das Auto mit einem eigenen Schlüssel aufschloss, ihre Reisetasche hineinwarf und sich so tugendhaft hinterm Steuer zurechtsetzte, als sollte es in die Kirche gehen; als sie losfuhr, glänzte der Schlüsselbart immer noch im Auspuffrohr. Auch diese Besonderheit begeisterte ihn. Wie nahe liegend! Wie überlegt! Doppelte Telegramme, doppelte Schlüssel; unser Anführer setzt darauf, seine Chancen zu verdoppeln.
    Er gab den aus einem einzigen Wort bestehenden Befehl und beobachtete, wie die Verfolger sich unauffällig auf den Weg machten: die beiden Mädchen im Porsche; Udi in seinem großen Opel mit der Europaflagge am Heck, die er selbst dort angebracht hatte; Udis Partner auf einem Motorrad, das sehr viel weniger protzig war als Rossinos. Litvak blieb am Fenster stehen und sah zu, wie der Marktplatz sich langsam wie nach einer Vorstellung leerte. Die Autos fuhren los, die Reisebusse fuhren los, die Fußgänger gingen, die Beleuchtung um die Bahnhofshalle herum verlosch, und er hörte ein Rasseln, als jemand das Eisengitter zumachte und für die Nacht abschloss. Nur die beiden Wirtshäuser waren noch wach. Endlich kam kratzend das Kodewort, auf das er wartete, über den Kopfhörer. Ossian: der Mercedes fährt nach Norden. »Und in welche Richtung fährt Luigi?« erkundigte er sich. »In Richtung Wien.«
    »Warte!« sagte Litvak und nahm sogar den Kopfhörer ab, um klarer denken zu können.
    Er musste auf der Stelle eine Entscheidung treffen, und um Augenblicksentscheidungen ging es bei seiner Ausbildung. Beiden - Rossino und dem Mädchen - zu folgen war unmöglich. Dazu fehlten ihm die Mittel. Theoretisch gesehen sollte er dem Sprengstoff und damit dem Mädchen folgen - dennoch zögerte er, denn Rossino verstand es, sich jedem Zugriff zu entziehen, und war die weitaus wichtigere Beute, wohingegen der Mercedes an sich schon auffällig war und sein Ziel praktisch feststand. Litvak schwankte noch einen Augenblick länger. Im Kopfhörer knisterte es, doch er ignorierte das und ging noch einmal rasch die Logik der Fiktion durch. Die Vorstellung, dass Rossino ihm durch die Lappen gehen sollte, war ihm schier unerträglich. Denn Rossino war mit Sicherheit ein wichtiges Glied in der Kette des Gegners, und Kurtz hatte wiederholt darauf hingewiesen: Wenn die Kette nicht hielt, wie sollte Charlie dann in ihre Fallstricke geraten? Rossino würde mit der Überzeugung nach Wien zurückkehren, dass bis jetzt nichts gefährdet war. Er war ein entscheidendes Verbindungsglied, aber auch ein entscheidender Zeuge. Das Mädchen dagegen -das Mädchen übte nur bestimmte Funktionen aus: als Fahrerin, als Bombenlegerin, stellte das austauschbare Fußvolk innerhalb ihrer großen Bewegung dar. Außerdem hatte Kurtz für die Zukunft Großes mit ihr vor; Rossinos Zukunft konnte warten.
    Litvak setzte den Kopfhörer wieder auf. »Hängt euch an den Wagen. Lasst Luigi laufen.«
    Nachdem er seine Entscheidung gefällt hatte, gestattete Litvak sich ein zufriedenes Lächeln. Er kannte die Formation genau. Den Vorreiter machte Udi auf seinem Motorrad, dann kam das Mädchen in dem roten Mercedes, der wiederum der Opel folgte. Weit hinter dem Opel und hinter allen fuhren die beiden Mädchen in dem Reserve-Porsche, bereit, auf Befehl den Platz mit einem der beiden anderen zu tauschen. In Gedanken ging Litvak noch einmal die stationären Beobachter durch, die den roten Mercedes bis zur deutschen Grenze überwachten, und malte sich das Ammenmärchen aus, das Alexis sich ausgedacht haben musste, um zu gewährleisten, dass sie reibungslos durchkam.
    »Geschwindigkeit?« fragte er und warf einen Blick auf die Uhr. Udi meldet, dass sie ziemlich langsam fährt, kam die Antwort. Diese Dame möchte nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ihre Ladung macht sie nervös.
    Dazu hat sie auch allen Grund, dachte Litvak zustimmend, als er den Kopfhörer abnahm. Wäre ich das Mädchen, hätte ich auch einen Heidenschiss vor der Ladung.
    Die Aktenmappe in der Hand stieg er die Treppe hinunter. Er hatte die Rechnung schon beglichen, doch wenn sie ihn gebeten hätten, er hätte sie noch einmal bezahlt; er war verliebt in die ganze Welt. Sein Kommandowagen wartete auf dem Hotelparkplatz auf ihn. Mit einer Selbstzucht, die das Ergebnis langer Erfahrung ist, machte er sich auf, um hinter dem Konvoi herzufahren. Wie viel mochte sie

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