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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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gelesen hast. Von da aus weiter. Was hast du getan?« Tief Luft holen. Weiter im Text.
    »Als ich dann an der Rezeption nachfragte, sagte man mir, Sie wären für den Abend ausgegangen, Sie hielten diesen Vortrag in der Universität, und da bin ich einfach in ein Taxi gesprungen - ich meine, ich weiß nicht, ob Sie mir verzeihen können. Hören Sie, ich muss los. Viel Glück, Herr Professor. Und viel Erfolg bei Ihrem Vortrag.«
    Auf ein Nicken von Kurtz hin hatte Minkel einen Schlüsselbund aus der Tasche geholt und tat so, als wählte er einen ganz bestimmten Schlüssel aus, dabei hatte er gar keine Aktenmappe, mit der er hätte spielen können. Doch Charlie war unter Josephs drängender Leitung bereits auf dem Weg zur Tür; halb ging sie, halb trug er sie mit dem Arm, den er ihr um die Hüfte gelegt hatte. Ich tu’s nicht, Jose, ich kann es nicht. Ich hab’ all meinen Mut verbraucht, so wie du es gesagt hast. Lass mich jetzt nicht gehen, Jose, bitte nicht. Hinter ihr hörte sie gedämpfte Befehle und das Geräusch hastiger Schritte, als alle den Rückzug anzutreten schienen.
    »Zwei Minuten«, rief Kurtz warnend hinter ihnen her. Sie waren wieder draußen auf dem Korridor bei den beiden blonden Jungen mit den Maschinenpistolen.
    »Wo bist du mit ihm zusammengetroffen?« fragte Joseph mit leiser, eiliger Stimme.
    »In einem Hotel Eden. Eine Art Puff am Rande der Stadt. Neben einer Drogerie. Er hat einen roten Coca-Cola-Wagen. FR Strich BT was weiß ich, fünf. Und einen Ford-Caravan. Nur, die Nummer hab’ ich nicht mitgekriegt.«
    »Mach deine Tasche auf.« Sie tat es. Schnell, so wie er sprach. Er nahm ihren kleinen Radiowecker heraus und vertauschte ihn gegen einen genauso aussehenden, den er aus seiner Tasche holte.
    »Es ist nicht derselbe Trick wie bei dem anderen«, warnte er sie rasch. »Er empfängt nur auf einem Sender. Er gibt auch noch die Zeit an, nur wecken kann er nicht. Dafür hat er einen Sender, der uns verrät, wo du bist.« »Wann?« fragte sie verständnislos.
    »Was sollst du nach Khalils Befehlen jetzt machen?« »Ich soll die Straße runtergehen, immer weiter - Jose, wann kommst du? - um Himmels willen!«
    Sein Gesicht zeigte einen verhärmten und verzweifelten Ernst, doch keine Zugeständnisse.
    »Hör zu, Charlie. Hörst du zu?«
    »Ja, Jose, ich höre.«
    »Wenn du auf den Lautstärkeregler an deinem Radiowecker drückst - nicht drehen, sondern drücken -, wissen wir, dass er schläft. Verstehst du?«
    »Er wird aber nicht einfach so schlafen.«
    »Was soll das heißen? Wieso weißt du, wie er schläft?«
    »Er ist wie du, nicht so wie die anderen, er ist Tag und Nacht wach. Er ist... Jose, ich kann nicht zurück. Bitte, zwing mich nicht.« Flehentlich sah sie ihm ins Gesicht, wartete immer noch darauf, dass er nachgab, doch sein Gesicht hatte sich ihr völlig verschlossen.
    »Er will, dass ich mit ihm schlafe, Himmelherrgott! Er will eine Hochzeitsnacht, Jose! Rührt sich da bei dir nichts? Er fängt dort mit mir an, wo Michel aufgehört hat. Er hat ihn nicht gemocht. Er will mit ihm abrechnen. Muss ich immer noch gehen?« Sie klammerte sich so ungestüm an ihn, dass er Schwierigkeiten hatte, ihren Griff zu lösen. Den Kopf gesenkt und gegen seine Brust gedrückt, stand sie da, wollte, dass er sie wieder beschützte. Statt dessen schob er ihr die Hände unter die Arme und richtete sie auf; wieder sah sie sein Gesicht, völlig verschlossen, das ihr sagte, Liebe sei nichts für sie beide. Weder für sie noch für ihn und schon gar nicht für Khalil. Er brachte sie auf den Weg, sie schüttelte ihn ab und ging allein. Er machte noch einen Schritt hinter ihr her, blieb dann jedoch stehen. Sie blickte zurück und hasste ihn; sie machte die Augen zu und wieder auf und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    Ich bin tot.
    Sie trat hinaus auf die Straße, reckte sich und marschierte flott wie ein Soldat und genauso blind eine schmale Straße hinunter, an einem schäbigen Nachtklub vorüber, der beleuchtete Bilder von Mädchen um die Dreißig mit wenig beeindruckenden Brüsten zur Schau stellte. Das sollte ich tun, dachte sie. Sie erreichte eine Hauptstraße, erinnerte sich an das, was sie als Fußgängerin gelernt hatte, blickte nach links und sah einen mittelalterlichen Torturm und geschmackvoll darauf einen Schriftzug für McDonald’s Hamburger. Die Ampel wurde für sie grün, sie ging weiter und sah hohe schwarze Berge, die das Ende der Straße versperrten, und dahinter einen blassen,

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