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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Er nahm ihr die Aktentasche nicht ab, sondern ließ sie sie halten, während er am Schloss herumdrückte und sich überzeugte, dass es wirklich verschlossen war.
    Junge, Junge, dachte sie. Da hast du grad eben Selbstmord begangen und funkelst mich trotzdem noch an. »Öffnen!« befahl er.
    »Das kann ich nicht. Sie ist verschlossen .« Sie gab ihrer Stimme einen verzweifelten Klang. »Sie gehört dem Professor, verstehen Sie denn nicht? Soviel ich weiß, hat er die Unterlagen für seinen Vortrag darin. Die braucht er für heute abend.« Sie wandte sich von ihm ab und hämmerte laut gegen die Tür. »Professor Minkel? Ich bin’s, Imogen Baastrup von der Witwatersrand-Universität. O Gott.«
    Der zweite Polizist war zu ihnen getreten. Er war älter und hatte dunkle Wangen. Charlie appellierte an seine größere Weisheit. »Well, do you speak English?« sagte sie, doch im selben Augenblick ging die Tür ein paar Zentimeter auf, und ein ziegenbockähnliches Männergesicht blickte sie höchst misstrauisch an. Er sagte etwas auf deutsch zu dem ihm näher stehenden Polizisten, und Charlie hörte das Wort Amerikanerin in seiner Antwort.
    »Nein, ich bin keine Amerikanerin«, erwiderte sie, jetzt beinahe den Tränen nahe. »Ich bin Imogen Baastrup aus Südafrika und bringe Professor Minkel seine Aktentasche. Er hat sie verloren. Würden Sie bitte so freundlich sein und sie ihm sofort bringen? Ich bin überzeugt, er ist verzweifelt auf sie angewiesen. Please !«
    Die Tür ging weit genug auf, um auch noch den Rest von ihm zu zeigen: ein korpulenter, bürgermeisterlich aussehender Mann von sechzig oder mehr Jahren in einem schwarzen Anzug. Er war sehr blass, und für Charlies heimliches Auge hatte auch er Angst.
    » Sir, do you speak English, please? Do you? «
    Er sprach nicht nur Englisch, er hatte sogar Eide darin geschworen. Denn er sagte: » I do «, so feierlich, dass er sich für den Rest seines Lebens deshalb nichts würde vormachen können. »Würden Sie dies dann Professor Minkel mit den besten Empfehlungen von Imogen Baastrup übergeben und ihm sagen, es täte ihr leid, aber das Hotel habe die Sachen blöderweise vertauscht, und dass ich mich sehr darauf freute, ihn heute abend zu hören…« Sie hielt die Aktenmappe hin, doch der bürgermeisterliche Mensch weigerte sich, sie anzunehmen. Er sah den Polizisten hinter ihr an und schien irgendeine undeutliche Zusicherung von ihm zu empfangen; er blickte wieder auf die Aktentasche, dann auf Charlie.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte er wie ein Butler auf der Bühne, der seine zehn Pfund pro Abend verdient, und trat beiseite, um sie einzulassen.
    Sie erschrak. Das stand nicht im Text. Weder in Khalils noch in Helgas, noch in sonst jemandes. Was passierte, wenn Minkel die Tasche vor ihren Augen aufschloss?
    »Oh, das geht nicht. Ich muss zu meinem Platz im Auditorium . Ich habe noch keine Eintrittskarte. Bitte !«
    Doch der bürgermeisterliche Mann hatte auch seine Befehle und seine Ängste, denn als sie die Aktenmappe auf ihn zuschob, zuckte er davor zurück, als wäre es das höllische Feuer. Die Tür ging zu, sie standen auf einem Korridor mit isolierten Röhren an der Decke. Sie erinnerten sie kurz an die Röhren an der Decke im Olympischen Dorf. Ihr widerstrebender Begleiter ging vor ihr her. Sie roch Öl und hörte das gedämpfte Wummern eines Brenners; sie spürte eine Hitzewelle im Gesicht und dachte daran, ohnmächtig zu werden oder sich zu übergeben. Der Griff der Aktentasche schwitzte Blut aus, sie fühlte, wie ihr der warme Schleim zwischen den Fingern hindurchrann. Sie erreichten eine Tür, auf der stand Vorstand . Der bürgermeisterliche Mann klopfte an und rief: » Oberhauser! Schnell! « Und während er das tat, warf sie einen verzweifelten Blick hinter sich und sah zwei blonde Jungen in Lederjacken auf dem Korridor hinter ihr. Sie trugen Maschinenpistolen. Himmelherrgott, was ist das ? Die Tür ging auf, Oberhauser trat als erster ein und rasch zur Seite, als wollte er nichts mit ihr zu tun haben. Sie stand zwischen den Filmkulissen für Das Ende einer Reise , und die Hinterbühne war mit Sandsäcken geschützt; große Ballen Füllmaterial schützten die Decke und wurden von Maschendraht festgehalten. Sandsackwälle bildeten von der Tür an einen Zickzackgang. In der Bühnenmitte stand ein niedriger Tisch und darauf ein Tablett mit Getränken. Daneben, auf einem niedrigen Sessel, saß Minkel wie eine Wachsfigur und starrte sie direkt an. Ihm

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