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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Leidener Bombe spürten sie jede Stunde am Tag Gavrons krächzenden Atem im Nacken; im Kopf hörten sie nur noch das erbarmungslose Ticken von Kurtz’ verbeulter Uhr. Dennoch, von außen betrachtet waren sie nichts als zwei weitere ehrerbietige, sehr gegensätzliche aus Mitteleuropa stammende Amerikaner in brandneuen Burberrys. Der eine war korpulent und kräftig und hatte einen rollenden Seemannsgang fast wie ein alter Kapitän, der andere war schmächtig und jung und eher unauffällig und trug stets ein nichtssagendes Lächeln zur Schau. Sie gaben sich als Gold und Karman von der Firma GK Creations, Inc., aus, und ihr noch in letzter Minute gedrucktes Briefpapier hatte wie zum Beweis, dass es mit ihnen seine Richtigkeit habe, ein blau-goldenes Monogramm, das wie eine Krawattennadel aus den dreißiger Jahren aussah. Sie hatten den Termin von der Botschaft aus, dem Vernehmen nach jedoch aus New York, abgemacht, und zwar persönlich mit einer von Ned Quilleys Damen, und hielten ihn pünktlich ein wie die eifrigen Show-Business-Manager, die sie nicht waren.
    »Wir sind Gold und Karman«, sagte Kurtz Punkt zwei Minuten vor zwölf zu Quilleys ältlicher Empfangsdame, Mrs. Longmore, als sie geradenwegs von der Straße kommend vor sie traten. »Wir haben eine Verabredung mit Mr. Quilley, um zwölf. - Nein, vielen Dank, wir wollen uns nicht erst setzen. Haben wir übrigens das Vergnügen gehabt, mit Ihnen am Telefon zu sprechen?«
    Nein, das hätten sie nicht, erklärte Mrs. Longmore in einem Ton, als mache sie gute Miene zum Spiel von zwei Verrückten. Termine seien die Domäne von Mrs. Ellis, einer ganz anderen Dame. »Gewiss doch«, sagte Kurtz unverzagt.
    Auf diese Weise gingen sie oft in solchen Fällen vor: irgendwie offiziell, wobei der stämmige Kurtz den Takt schlug und der überschlanke Litvak mit seinem schwelenden vertraulichen Lächeln leise hinter ihm tönte.
    Die Treppe zu Ned Quilleys Büro hinauf war steil und hatte keinen Teppich, und die meisten amerikanischen Gentlemen machten nach Mrs. Longmores mehr als fünfzigjähriger Erfahrung auf diesem Posten ein paar dumme Bemerkungen darüber und blieben auf dem Treppenabsatz stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Nicht so jedoch Gold, und Karman auch nicht. Diese beiden sprangen, als sie ihnen durch ihr Fenster nachsah, behende die Stufen hinauf und waren im Nu ihren Blicken entschwunden, als ob sie noch nie einen Fahrstuhl gesehen hätten. Das muss am Jogging liegen, dachte sie, als sie sich wieder an ihre Strickerei für vier Pfund die Stunde machte. Machten sie das nicht neuerdings alle in New York? Um den Central Park herumrennen, die Ärmsten, und den Lustmördern und den Hunden ausweichen? Sie hatte gehört, dass eine Menge dabei zu Tode gekommen war.
    »Sir, wir sind Gold und Karman«, sagte Kurtz ein zweites Mal, als der kleine Ned Quilley ihnen munter die Tür aufmachte. »Ich bin Gold.« Seine große Rechte war schon in der des armen alten Ned gelandet, ehe dieser auch nur eine Chance hatte, sich zu bewegen. »Mr. Quilley, Sir - Ned - es ist uns wirklich eine Ehre, Sie kennenzulernen. Sie genießen einen sehr, sehr guten Ruf in der Branche.« »Und ich bin Karman, Sir«, sagte Litvak unaufdringlich, doch nicht weniger hochachtungsvoll, und linste Kurtz über die Schulter. Doch Litvak war kein Händeschüttler: das hatte Kurtz für sie beide erledigt.
    »Aber, mein lieber Mann«, wies Ned das mit seinem abwehrenden altväterischen Charme von sich, »du meine Güte, für mich ist es eine Ehre, nicht für Sie .« Mit diesen Worten führte er sie sofort an das breite Schiebefenster, das legendäre Quilley-Fenster aus der Zeit seines Vaters, vor dem man der Tradition entsprechend Platz nahm, auf den Markt von Soho blickte, den Sherry des alten Quilley kostete und die Welt unter sich vorüberziehen ließ, während man nette kleine Abmachungen traf, die sich für den alten Quilley und die Schauspieler, die er vertrat, lohnten. Denn Ned Quilley war selbst mit sechzig immer noch so etwas wie der Sohn. Er wünschte nichts mehr, als dass der angenehme Lebensstil seines Vaters weitergeführt wurde. Er war eine empfindsame kleine Seele, weißhaarig und seiner Kleidung nach so etwas wie ein élegant , wie man das häufig bei Theaterleuten erlebt. Er hatte einen pfiffigen Ausdruck in den Augen, rosige Wangen und ein Verhalten, als sei er aufgeregt und zögerlich zugleich.
    »Zu nass für die Nutten, fürchte ich«, erklärte er und wedelte kühn mit der gepflegten

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