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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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klar sei, ließ er ihr Flugticket in der Innentasche seiner Jacke verschwinden. Hey, gib das zurück ! schrie sie plötzlich wie wachgerüttelt -allerdings nicht wirklich, wenn sie es auch fast getan hätte. »Sobald du deine Freunde abgehängt hast, nimm ein Taxi zum Koloktroni-Platz.« Er buchstabierte das für sie. »Die Fahrt kostet dich so an die zweihundert Drachmen.« Er wartete, um zu erfahren, ob das ein Problem war, doch das war es offenbar nicht; sie hatte noch achthundert, was sie ihm freilich nicht sagte. Er wiederholte den Namen des Platzes noch einmal und vergewisserte sich, dass sie ihn sich fest eingeprägt hatte. Es war eine wahre Wonne, sich seiner militärischen Tüchtigkeit unterzuordnen. Gleich hinter dem Platz, so sagte er, sei ein Straßenrestaurant. Er nannte ihr auch den Namen - Diogenes -und gestattete sich einen humoristischen Schlenker: ein schöner Name, sagte er, einer der besten in der ganzen Geschichte; die Welt brauche mehr von seiner Art und weniger Alexanders. Er werde im Diogenes warten. Nicht draußen, sondern drin im Gastzimmer, wo es kühl und intim sei. Wiederhol noch mal, Charlie: Diogenes . Unsinnigerweise tat sie es widerstandslos.
    »Direkt neben dem Diogenes liegt das Hotel Paris. Sollte ich zufällig aufgehalten werden, lass ich eine Nachricht für dich an der Hotelrezeption zurück. Frag nach Mr. Larkos. Larkos ist ein guter Freund von mir. Wenn du irgendwas brauchst, Geld oder was auch immer, zeig ihm dies hier, und er wird es dir geben.« Er reichte ihr eine Visitenkarte. »Kannst du das alles behalten? Aber selbstverständlich, du bist ja schließlich Schauspielerin. Du kannst Worte, Gesten, Zahlen, Farben behalten - alles.«
    Richthoven-Export , las sie, und darunter eine Wiener Postfachnummer.
    Sie kam an einem Kiosk vorüber, fühlte sich wunderbar, ja geradezu gefährlich lebendig und kaufte ihrer Scheiß-Mutter eine geklöppelte Tischdecke und für ihren Neffen Kevin, der ihr so auf die Nerven gehen konnte, eine griechische Mütze mit Troddel daran. Das vollbracht, suchte sie ein Dutzend Postkarten aus, von denen sie die meisten an den alten Ned Quilley, ihren nutzlosen Londoner Agenten, adressierte und mit lustigen Botschaften vollschrieb, die ihn vor den affektierten Damen in seinem Büro in Verlegenheit bringen sollten. »Ned, Ned«, schrieb sie auf einer, »bewahr all Deine Glieder für mich auf«, und auf einer anderen: »Ned, Ned, kann eine gefallene Frau noch tiefer sinken?« Aber bei einer weiteren beschloss sie dann doch, ihrer Phantasie Zügel anzulegen und ihm mitzuteilen, dass sie daran denke, ihre Rückkehr etwas hinauszuschieben, damit sie auf dem Festland noch was zu sehen bekomme. »Es wird Zeit, dass Deine Chas ihre Kenntnisse in Kulturgeschichte ein wenig aufpoliert, Ned«, erklärte sie und ignorierte damit Josephs Anweisung, nicht zuviel zu sagen. Als sie sich anschickte, über die Straße zu gehen und die Ansichtskarten einzustecken, hatte Charlie das Gefühl, beobachtet zu werden, doch als sie herumfuhr und sich dabei selbst vormachte, dass sie Joseph treffen würde, sah sie nur den strohblonden Hippie-Jungen wieder, dem es gefiel, der Familie nachzuschleichen, und der bei Alastairs Abreise dabei gewesen war. Er schlenderte wie benebelt hinter ihr den Bürgersteig entlang und ließ die Arme baumeln wie ein Affe. Als er sie sah, hob er langsam mit einer Geste wie Christus die Hand zum Gruß. Lachend winkte sie zurück. Der verrückte Hund muss einen schlechten Trip gehabt haben und kommt nicht wieder auf den Boden, dachte sie nachsichtig, als sie die Karten nacheinander in den Briefkasten warf. Vielleicht sollte ich seinetwegen was unternehmen.
    Die letzte Karte war an Alastair gerichtet, voll von verlogenem Gefühl, doch sie las sie nicht noch einmal durch. Manchmal, besonders in Augenblicken der Unsicherheit oder Veränderung oder wenn sie im Begriff stand, etwas zu wagen, gefiel sie sich in der Überzeugung, ihr lieber, hoffnungsloser, dem Alkohol ergebener Ned Quilley, der beim nächsten Geburtstag hundertvierzig wurde, sei der einzige Mann, den sie jemals wirklich geliebt habe.

Kapitel 4

    Kurtz und Litvak statteten Ned Quilley in seinem Büro in Soho um die Mittagsstunde eines trüben, verregneten Freitags einen Besuch ab - einen zwanglosen Besuch, bei dem es letztlich jedoch um handfeste Geschäfte ging -, als sie hörten, dass die Joseph-Charlie-Angelegenheit den gewünschten Verlauf nahm. Sie waren der Verzweiflung nahe: Seit der

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