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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Hand in Richtung Fenster. Unbekümmertheit war nach Neds Meinung das, worum es im Leben ging. »In der Regel haben wir um diese Jahreszeit sonst kein schlechtes Angebot. Große, Schwarze, Gelbe, jede Form und Größe, die man sich vorstellen kann. Eine alte Schnepfe haben wir da, die arbeitet hier schon länger als ich. Mein Vater pflegte ihr zu Weihnachten immer ein Pfund zu geben. Nur würd’ sie heutzutage wohl nicht mehr viel für ein Pfund bekommen, fürchte ich. O nein, wahrhaftig nicht.« Während sie pflichtschuldig lachten, holte Ned eine Karaffe mit Sherry aus seinem geliebten Bücherschrank mit den kassettierten Türen, schnupperte übertrieben am Stöpsel und schenkte dann, während sie zusahen, drei Kristallgläser bis zur Hälfte voll. Ihre Wachsamkeit war etwas, das er sofort spürte. Er hatte das Gefühl, sie taxierten ihn, taxierten die Möbel, das Büro. Und ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf - ein Gedanke, der ihn irgendwie beunruhigt hatte, seit er ihren Brief erhalten hatte.
    »Sagen Sie, Sie haben doch nicht etwa vor, mich aufzukaufen oder irgendetwas Schreckliches, nicht wahr?« erkundigte er sich nervös.
    Kurtz ließ ein lautes, tröstliches Lachen vernehmen. »Ned, Sie können ganz sicher sein - aufkaufen wollen wir Sie bestimmt nicht.« Auch Litvak lachte. »Nun ja, Gott sei Dank!« erklärte Ned mit ernster Mine und reichte ihnen die Gläser. »Heutzutage wird nämlich jeder aufgekauft, wissen Sie? Da kommen alle möglichen Leute, die ich überhaupt nicht kenne, und bieten mir am Telefon Geld. All die kleinen, alteingesessenen Firmen - solide Häuser -, die mir nichts dir nichts geschluckt werden. Schrecklich. Aber erst mal: cheers ! Viel Glück! Und willkommen!« erklärte er und schüttelte immer noch missbilligend den Kopf.
    Neds Rituale des Courmachens gingen weiter. Er erkundigte sich, wo sie abgestiegen seien - im Connaught, sagte Kurtz, und, Ned, sie fänden es ganz wunderbar, fühlten sich dort wie zu Hause, vom ersten Augenblick an. Was übrigens der Wahrheit entsprach; sie waren mit Absicht dort abgestiegen, und Misha Gavron bekam bestimmt den Veitstanz, wenn er die Rechnung sah. Ned fragte, ob sie denn auch Gelegenheit hätten, sich zu amüsieren, und Kurtz erwiderte aus tiefstem Herzen, sie genössen jeden Augenblick in London. Morgen würden sie nach München weiterfliegen.
    »Nach München? Du meine Güte, was wollen Sie denn dort?« fragte Ned und spielte sein Alter für sie aus, spielte den anachronistischen Dandy, der keine Ahnung hat, was in der Welt gespielt wurde. »Ihr Amerikaner macht wirklich nichts halb, das muss ich schon sagen!«
    »Ko-Produktions-Geld!«, erwiderte Kurtz, als ob damit alles gesagt sei.
    »Und zwar eine ganze Menge«, sagte Litvak mit einer Stimme, die ebenso sanft war wie sein Lächeln. »Der deutsche Markt ist heute nicht zu verachten. Das ganz, ganz große Geschäft, Mr. Quilley.«
    »Oh, davon bin ich überzeugt. Ja, ich habe davon gehört«, sagte Ned entrüstet. »Sie stellen einen großen Machtfaktor da, das muss man zugeben. In allem. Der Krieg ist längst vergessen und ganz weit unter den Teppich gekehrt.«
    Anscheinend unter dem geheimnisvollen Zwang, etwas Unsinniges zu tun, schickte Ned sich an, ihnen Sherry nachzuschenken, und tat so, als habe er nicht bemerkt, dass die Gläser buchstäblich unberührt waren. Dann kicherte er und stellte die Karaffe wieder hin. Es war eine Schiffskaraffe, achtzehntes Jahrhundert, mit breiter Standfläche, damit sie bei bewegter See nicht vom Tisch rutschte. Häufig legte Ned Ausländern gegenüber Wert darauf, das zu erklären, um es ihnen behaglich zu machen. Doch diesmal hielt ihn irgend etwas an ihrer spürbaren Wachsamkeit davon ab, und so gab es statt dessen nur eine kleine Pause; die Stühle knarrten. Draußen vorm Fenster hatte der Regen sich zu Nebelschwaden verdichtet.
    »Ned«, sagte Kurtz und wählte genau den richtigen Augenblick für seinen Auftritt, »Ned, ich möchte Ihnen ein bisschen erzählen, wer wir sind, warum wir Ihnen geschrieben haben und warum wir Ihre wertvolle Zeit stehlen.«
    »Bitte, mein Lieber, nur zu! Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Ned, kam sich plötzlich wie jemand ganz anderes vor, schlug die kurzen Beine übereinander und setzte ein aufmerksames Lächeln auf, während Kurtz geschickt in seine Überzeugungsmasche einstieg.
    Mit seinem breiten, zurückgekämmten Haaransatz hielt Ned ihn für einen Ungarn; er hätte aber genausogut Tscheche sein

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