Die Libelle
Vor zehn Jahren, als wir uns auf dieser komischen kleinen griechischen Insel trafen. »Und nach dem Essen möchte ich Mephisto für dich spielen, dich auf einen Berg hinaufführen und dir das zweitbeste Fleckchen auf der Welt zeigen. Einverstanden? Ein Ausflug zu den Mysterien?«
»Ich will aber das beste«, sagte sie und trank ihren Whisky.
»Und ich verleihe nie erste Preise«, erwiderte er seelenruhig.
Lass mich hier raus! dachte sie. Jag den Autor zum Teufel! Gib mir ein neues Drehbuch! Sie versuchte es mit einem Party-Gambit direkt aus Rickmansworth.
»So, was hast du denn in den letzten Tagen angestellt, Jose? Natürlich abgesehen davon, dass du dich nach mir verzehrt hast.« Er ging nicht direkt darauf ein, sondern fragte sie nach ihrer eigenen Warterei, nach der Fahrt und nach der Familie. Er lächelte, als sie von der Vorsehung in Gestalt des Hippies erzählte, der sie im Taxi mitgenommen und Jesus kein einziges Mal erwähnt hatte. Er erkundigte sich, ob sie etwas von Alastair gehört habe, und war höflich enttäuscht, als er erfuhr, dass das nicht der Fall sei. »Ach, der schreibt nie«, sagte sie mit einen unbekümmerten Lachen. Er fragte, was für eine Filmrolle er denn ihrer Meinung nach angeboten bekommen habe; sie vermutete, einen Spaghetti-Western, und er fand das lustig: diesen Ausdruck hatte er noch nie gehört und bestand darauf, dass sie ihm ihn erklärte. Als sie ihren Whisky ausgetrunken hatte, fand sie allmählich, dass sie vielleicht doch attraktiv für ihn war. Sie redete mit ihm über Al und war beeindruckt davon, wie sie mit eigenen Worten Raum für einen neuen Mann in ihrem Leben machte.
»Aber wie auch immer, ich hoffe nur, er hat wirklich Erfolg, das ist alles«, sagte sie und ließ durchblicken, dass Erfolg ihn für andere Enttäuschungen entschädigen könnte.
Doch noch während sie auf ihn zuging, überkam sie erneut das Gefühl, dass alles nicht stimmte. Dieses Gefühl hatte sie auch manchmal auf der Bühne, wenn eine Szene nicht lief: dass die Ereignisse zusammenhanglos und in hölzerner Folge abliefen, dass der Dialog zu dünn war, zu direkt. Jetzt , dachte sie. Sie kramte in ihrer Schultertasche, brachte ein Olivenholzkästchen zum Vorschein und reichte es ihm über den Tisch hinweg. Er nahm es, weil es ihm gereicht wurde, erkannte es jedoch nicht gleich als Geschenk. Es amüsierte sie, für einen Augenblick so etwas wie Angst, ja Argwohn in seinem Gesicht zu entdecken, als ob ein unerwarteter Umstand seine Pläne zu durchkreuzen drohe.
»Mach’s schon auf«, ermunterte sie ihn.
»Aber was ist es?« Er spielte ein wenig den Clown für sie, schüttelte das Kästchen leicht und hielt es ans Ohr. »Muss ich einen Eimer Wasser bestellen?« fragte er. Aufseufzend, als ob nichts Gutes herauskommen könne, hob er den Deckel und betrachtete nachdenklich die Päckchen aus Seidenpapier, die darin steckten. »Charlie, was ist das? Ich bin völlig durcheinander. Bring sie sofort wieder dorthin zurück, wo du sie gefunden hast.« »Mach schon! Wickle sie aus.«
Er hob eine Hand. Sie beobachtete sie, als verharre sie unsicher über ihrem eigenen Körper, dann senkte sie sich auf das erste Päckchen nieder, eine große rosa Muschel, die Charlie am Tag seiner Abreise am Strand gefunden und aufgehoben hatte. Feierlich legte er sie auf den Tisch und holte das nächste Angebinde heraus, ein geschnitztes griechisches Eselchen made in Taiwan , das sie im Andenkenladen gekauft und auf dem Bauch eigenhändig mit ›Joseph‹ beschriftet hatte. Er hielt es in beiden Händen und drehte es hin und her, während er es betrachtete.
»Es ist ein Junge«, sagte sie, brachte es jedoch nicht fertig, den ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht zu verscheuchen. »Und das hier bin ich - schmollend«, erklärte sie, als er das gerahmte Foto herausholte, das, mit Roberts Polaroid-Kamera aufgenommen, Charlies Rückenansicht mit Strohhut und Strandkleid zeigte. »Ich war gerade wütend und wollte nicht posieren. Ich dachte, du würdest das zu schätzen wissen.«
Seine Dankbarkeit schmeckte nach nüchterner Überlegung, die sie eisig berührte. Danke, aber nein, schien er zu sagen; danke, aber ein andermal. Pauly nicht, Lucy nicht, du aber auch nicht. Sie zögerte, dann sagte sie es ihm - freundlich und gütig direkt ins Gesicht.
»Jose, wir brauchen das nicht unbedingt weiterzumachen, verstehst du? Ich schaff das Flugzeug immer noch, wenn dir das lieber ist. Ich wollte dich nicht auf...«
»Was?«
»Ich
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