Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
stand in einem dämmerig beleuchteten holzgetäfelten Restaurant, und dort - in seinem eigenen bisschen Dunkel saß der heilige Joseph von der Insel, der unheimliche und wohlbekannte Urheber all ihrer Schuldgefühle und des Aufruhrs in ihr, einen griechischen Kaffee neben sich und ein aufgeschlagenes Taschenbuch vor sich.
    Rühr mich bloß nicht an, warnte sie ihn bei sich, als er auf sie zukam. Nimm bloß keinen Zentimeter von mir für selbstverständlich. Ich bin müde und ausgehungert, könnte sein, dass ich beiße, und dem Sex hab’ ich für die nächsten zweihundert Jahre abgeschworen. Aber er nahm nur ihre Gitarre und ihre Schultertasche mit dem abgerissenen Riemen, sonst nichts. Und er gab ihr auch nur rasch und förmlich die Hand, wie man es auf der anderen Seite des Atlantiks macht. So fiel ihr nichts anderes ein, als zu sagen: »Du hast ja ein seidenes Hemd an!« Das stimmte, es war cremefarben, mit goldenen Manschettenknöpfen, so groß wie Kronenkorken. »Herrgott, Jose. Wie läufst du denn rum?« rief sie, als sie auch noch das übrige Metall an ihm in Augenschein nahm. »Goldarmband, goldene Uhr - kaum drehe ich dir den Rücken zu, reißt du eine reiche Gönnerin auf!« Das sprudelte alles in einem teils hysterischen, teils aggressiven Ton aus ihr heraus, vielleicht hatte sie instinktiv die Absicht, ihn wegen seines Aufzugs genauso verlegen zu machen, wie sie sich wegen des ihren fühlte. - Was hab’ ich denn erwartet, wie er rumläuft? fragte sie sich wütend. Vielleicht in seiner verdammten keuschen Badehose und mit seiner Feldflasche? Aber Joseph ließ ohnehin alles ungerührt über sich ergehen.
    »Charlie. Hallo. Die Fähre hatte Verspätung. Du Ärmste! Aber lass nur. Hauptsache, du bist hier.« Das jedenfalls war Joseph, wie sie ihn kannte - kein Triumph, keinerlei Überraschung, nur eine ernste biblische Begrüßung und ein gebieterisches Nicken für den Kellner. »Willst du dich erst waschen oder erst einen Whisky? Die Damentoilette ist dort drüben.«
    »Einen Whisky«, sagte sie und ließ sich auf einen Stuhl ihm gegenüber fallen.
    Ein gutes Restaurant, das wusste sie sofort. Eines von denen, das die Griechen für sich behalten.
    »Ach, und ehe ich’s vergesse.« Er griff hinter sich. Was vergesse? dachte sie, als sie ihn, das Kinn in die Hände gestützt, ansah. Komm schon, Jose. Du hast noch nie im Leben was vergessen. Joseph brachte unter der Bank eine wollene griechische Tasche von einem auffallend schmutzigen Rot zum Vorschein, die er ihr betont beiläufig reichte.
    »Da wir beide zusammen in die Welt hinausziehen, ist hier dem Notgepäck. Dein Flugticket von Saloniki nach London ist darin, wenn du möchtest, kannst du immer noch umbuchen. Außerdem etwas Geld, damit du einkaufen, weglaufen oder es dir einfach anders überlegen kannst. War’s schwierig, deinen Freunden zu entkommen? Ich glaub’ schon. Wer macht Leuten gern was vor, vor allem denen, die man mag?«
    Er redete, als kenne er sich mit Irreführungen aus, als praktiziere er so was täglich mit Bedauern.
    »Kein Fallschirm«, beschwerte sie sich und spähte in die Tasche hinein. »Danke, Jose.« Das sagte sie noch ein zweites Mal. »Sehr passend. Vielen Dank.« Aber sie hatte das Gefühl, dass sie sich selbst nicht mehr glaubte. Mussten Lucys Pillen sein, dachte sie. Die Fahrt mit dem Schiff hat mich ganz durcheinander gebracht.
    »Also, wie steht’s mit einem Hummer? Auf Mykonos hast du mir gesagt, Hummer wäre dein Leibgericht. Stimmt das auch? Der Koch hat für dich einen aufgehoben und wartet nur auf deinen Befehl, um ihn zu schlachten. Warum nicht?«
    Das Kinn immer noch in die Handfläche gestützt, ließ Charlie ihren Humor die Oberhand gewinnen. Mit müdem Lächeln hob sie die andere Hand, ballte sie zur Faust und zeigte mit caesarischem Daumen nach unten, dass der Hummer des Todes sei.
    »Sag ihnen, ich möchte, dass sie so wenig Gewalt wie möglich anwenden«, sagte sie. Dann ergriff sie eine seiner Hände und drückte sie zwischen ihren beiden, um sich für ihre trübsinnige Stimmung zu entschuldigen. Er lächelte und überließ ihr seine Hand, so dass sie damit spielen konnte. Es war eine schöne Hand mit schlanken, harten Fingern und sehr kräftigen Muskeln.
    »Und den Wein, den du magst«, sagte Joseph. »Boutaris, weiß und kalt. Hast du das nicht immer gesagt?«
    Ja, dachte sie und ließ seine Hand nicht aus den Augen, wie sie ihre einsame Reise zurück über den Tisch machte. Das habe ich immer gesagt.

Weitere Kostenlose Bücher