Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
Unterarm war lange vor ihr da. Er bog ein zweites Mal nach links ab, durch ein weißes Tor in eine von Azaleen und Hibiskus gesäumte Privatauffahrt. Die Auffahrt führte um eine Kurve, sie flogen herum und kamen an einer durch weißgetünchte Steine abgegrenzten Kiesfläche zum Stehen. Das zweite Auto kam hinter ihnen zum Halten und blockierte den Weg nach draußen. Sie hörte Schritte auf dem Kies. Das Haus war eine von roten Blüten überwucherte alte Villa. Im Strahl der Scheinwerfer sahen die Blüten aus wie frische Blutflecken. Unter dem Vorbau brannte ein schwaches Licht. Joseph stellte den Motor ab und steckte den Zündschlüssel in die Tasche. Er lehnte sich über Charlie und drückte die Tür für sie auf, so dass plötzlich der süßliche Duft von Hortensien und das vertraute Gezwitscher der Zikaden hereindrang. Er stieg aus, doch Charlie blieb sitzen. Keine Brise regte sich, die Luft stand, und nichts war zu hören außer den vorsichtigen Schritten von leichtfüßigen jungen Leuten, die sich um den Wagen versammelten. Dimitri, der zehnjährige Fahrer mit dem einfältigen Lächeln. Raoul, der strohblonde Jesus-Freak, der in Taxis fuhr und einen reichen schwedischen Daddy hatte. Zwei Mädchen in Jeans und Jacken, dasselbe Gespann, das ihnen auf die Akropolis hinauf gefolgt war, und - jetzt, da sie sie deutlicher sah - auch dasselbe Gespann, das sie ein paarmal auf Mykonos hatte herumstreichen sehen, als sie Schaufensterbummel machte. Als sie das dumpfe Geräusch von jemand hörte, der den Kofferraum auslud, sprang sie wütend aus dem Wagen. »Meine Gitarre!« rief sie. »Die rührt ihr nicht an, die...«
    Aber Raoul hatte sich die Gitarre bereits unter den Arm geklemmt, und Dimitri hatte sich ihrer Schultertasche bemächtigt. Schon wollte sie auf sie zuspringen, da packten die beiden Mädchen sie am Handgelenk und an den Ellbogen und führten sie mühelos zum Vorbau hinüber. »Wo ist dieser Scheißkerl Joseph?« kreischte sie. Aber der Scheißkerl Joseph, der seine Aufgabe erfolgreich erledigt hatte, war schon halb die Stufen hinauf und blickte sich nicht um, wie jemand, der nach einem Unfall das Weite sucht. Als sie am Wagen vorübergingen, erkannte Charlie im Schein der Lampe vom Vorbau das Nummernschild. Es war keineswegs ein griechisches, sondern ein arabisches mit Schriftzeichen um die Nummer herum und auf dem Kofferraumdeckel gleich neben dem Mercedes-Stern im Hollywood-Stil ein Plastikschild mit den Buchstaben ›CD‹ , der Abkürzung für ›Corps Diplomatique‹.

Kapitel 6

    Die beiden Mädchen hatten sie zur Toilette gebracht und waren, ohne irgend etwas dabei zu finden, dageblieben, als sie sie benutzt hatte. Eine Blonde und eine Brünette, beide nicht besonders gepflegt, beide mit dem Befehl, sich der Neuen gegenüber freundlich zu verhalten. Sie trugen Schuhe mit weichen Sohlen, die Hemden hingen ihnen locker über die Jeans, und zweimal waren sie mühelos mit ihr fertig geworden, als sie auf sie losgegangen war, und als sie sie mit Flüchen überhäuft hatte, hatten sie Charlie mit der distanzierten Freundlichkeit der Gehörlosen angelächelt.
    »Ich bin Rachel«, hatte die Brünette ihr während eines kurzen Waffenstillstands atemlos anvertraut. »Und das hier ist Rose. Rachel - Rose, kapiert? Wir sind die beiden Rs.«
    Rachel war die Hübsche. Sie hatte den Tonfall der Nordengländer und fröhliche Augen; und Rachels Rückseite hatte Yanuka an der Grenze anhalten lassen. Rose war groß und drahtig, hatte krusseliges helles Haar und die gute körperliche Verfassung einer Leistungssportlerin, doch wenn sie die Hände aufmachte, saßen ihre Handflächen wie Äxte auf den dünnen Gelenken.
    »Es passiert dir nichts, nur keine Angst«, versicherte Rose ihr mit einem spröden Akzent, der auf Südafrika hindeutete. Von der Toilette brachten sie sie in ein Schlafzimmer im Erdgeschoß und gaben ihr Kamm und Bürste und ein Glas Schlankheitstee ohne Milch, und sie saß auf dem Bett, trank und fluchte in rasendem Zorn, während sie versuchte, wieder richtig zu atmen. »›MITTELLOSE SCHAUSPIELERIN ENTFÜHRT‹ «, brummte sie. »Womit soll man mich freikaufen, girls ? Mit meinem überzogenen Bankkonto?« Doch sie lächelten sie nur um so liebevoller an, standen mit hängenden Armen links und rechts neben ihr herum und warteten darauf, sie die große Treppe hinaufzubringen. Als sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatten, ging sie wieder auf sie los, diesmal mit der geballten Faust, einem weit

Weitere Kostenlose Bücher