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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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der Impotenz Verfolgten zu alten Jungfrauen, die Möchtegern-Don-Juans und legendären Beschäler, die im letzten Augenblick aus Scheu oder schlechtem Gewissen einen Rückzieher machten. Und sie hatte in der Regel immer genügend aufrichtiges Zartgefühl besessen, Mutter oder Schwester oder das andere zu spielen und mit jedem von ihnen so etwas wie eine bleibende Beziehung herzustellen. Doch in Joseph spürte sie, als sie in seine im Dunkeln liegenden Augenhöhlen hineinsah, ein Widerstreben, wie es ihr bisher noch nie begegnet war. Nicht, dass er sie nicht begehrt oder nicht gekonnt hätte. Sie war auf diesem Gebiet viel zu erfahren, als dass sie sich, was die Spannung und die Selbstsicherheit seiner Umarmung betraf, hätte irren können. Vielmehr war es so, als läge sein Ziel irgendwo jenseits von ihr und als versuche er, ihr das durch seine Zurückhaltung zu verstehen zu geben.
    »Soll ich dir noch mal danken?« fragte sie.
    Schweigend sah er sie einen Augenblick länger an. Dann hob er den Arm und warf im Mondlicht einen Blick auf seine goldene Uhr.
    »Ich meine, da uns ohnehin schon zu wenig Zeit bleibt, sollte ich dir ein paar von den Tempeln hier zeigen. Gestattest du, dass ich dich langweile?«
    In der außerordentlichen Distanz, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, verließ er sich darauf, dass sie ihn in seinem Keuschheitsgelübde unterstützte.
    »Jose, ich möchte sie alle kennenlernen«, erklärte sie, hakte sich bei ihm unter und schob mit ihm ab wie mit einer Trophäe. »Wer hat ihn gebaut, wie viel hat er gekostet, was hat man hier angebetet, und hat es was genützt? Du darfst mich langweilen, bis dass das Leben uns scheidet.«
    Sie wäre nie drauf gekommen, dass er etwa nicht alle Antworten kenne, und sie irrte sich nicht. Er hielt ihr einen Vortrag, und sie hörte ihm zu; gelassen führte er sie von Tempel zu Tempel, sie folgte ihm, hielt seinen Arm und dachte: Ich werde deine Schwester sein, deine Schülerin, was du willst. Ich werde dir Stecken und Stab sein und sagen, das warst ganz allein du, ich werde mich hinlegen und sagen, das war ganz allein ich, ich werde dir dieses Lächeln austreiben, und wenn es mich das Leben kostet.
    »Nein, Charlie«, sagte er ernst, »die Propyläen sind keine Göttin, sondern der Eingang zu einem Heiligtum. Das Wort kommt von propylon; die Griechen gebrauchten den Plural aus Achtung vor heiligen Stätten.« »Das hast du doch alles nur für uns auswendig gelernt, nicht wahr, Jose?«
    »Selbstverständlich. Alles für dich. Warum nicht?«
    »Ich könnte das. Ein Gehirn wie einen Schwamm, das hab’ ich. Du würdest dich wundern. Ein Blick in die Bücher, und ich wäre im Handumdrehen deine Expertin.«
    Er blieb stehen, sie mit ihm
    »Dann wiederhol es mir«, sagte er.
    Zuerst glaubte sie ihm nicht, sie argwöhnte, er wolle sie auf den Arm nehmen. Doch dann packte sie ihn an den Armen, drehte ihn mit einem Ruck um und machte den gesamten Rundgang noch einmal mit ihm und wiederholte ihm alles, was er gesagt hatte.
    »Na, bestanden?« Sie waren wieder ans Ende gelangt. »Bekomme ich den zweiten Preis?«
    Sie wartete wieder auf eine seiner berühmten Drei-MinutenWarnungen: »Es ist nicht der Schrein der Agrippa, sondern ihr Denkmal. Bis auf diesen kleinen Fehler, würde ich sagen, hast du alles vollkommen wortgetreu wiederholt. Herzlichen Glückwunsch.«
    Im selben Au genblick hörte sie von weit unten ein Auto hupen, drei gezielte Signale, und sie wusste, dass dieses Hupen für ihn bestimmt war, denn er hob sofort den Kopf, nahm es in sich auf wie ein witterndes Wild, bevor er noch einmal einen Blick auf die Uhr warf. Die Kutsche hat sich in einen Kürbis zurückverwandelt, dachte sie; Zeit, dass brave Kinder zu Bett gehen und einander sagen, was, zum Teufel, sie eigentlich getrieben haben.
    Sie waren bereits beim Abstieg, als Joseph stehen blieb und einen Blick auf das melancholische Dionysos-Theater warf, ein nur vom Mond und ein paar verirrten fernen Lichtern erhelltes ausgehöhltes Rund. Ein Abschiedsblick, dachte sie verwirrt, als sie ihn so regungslos als schwarze Silhouette vor den Lichtern der Stadt stehen sah. »Irgendwo habe ich gelesen, dass ein echtes Drama niemals nur eine persönliche Aussage sein kann«, meinte er. »Romane, Gedichte ja. Aber nicht ein Drama. Ein Drama muss immer einen Bezug zur Wirklichkeit haben. Ein Drama muss etwas nützen. Glaubst du das auch?«
    »In der Lehranstalt für höhere Töchter von Burton-on-Trent?« entgegnete sie

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