Die Libelle
entgegentreten könnte.
»Was wird hier denn eigentlich gespielt?« fragte sie und schenkte Kurtz’ Angebot, die Verhandlungen abzubrechen, ehe sie richtig begonnen hatten, keinerlei Beachtung. »Sind wir hier auf einem Kriegszug? Auf einer Strafexpedition? Wollen Sie mich mit Elektroschocks behandeln? Was, zum Teufel, geht hier denn eigentlich vor?«
»Je einen Israeli kennengelernt?« fragte Kurtz.
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Haben Sie grundsätzlich irgendwelche rassischen Vorurteile Juden gegenüber? Was gegen Juden als Juden - punktum? Riechen wir für Ihre Begriffe schlecht, oder haben wir keine Tischmanieren? Sagen Sie es uns. Wir haben Verständnis für so was.« »Seien Sie doch nicht albern.« Mit ihrer Stimme war was nicht in Ordnung - oder lag es an ihrem Ohr?
»Haben Sie das Gefühl, hier unter Feinden zu sein?«
»Himmelherrgott, wie kommen Sie darauf? Ich mein’, jeder, der mich entführt, ist für mich ein Freund fürs Leben«, schlug sie zurück und erntete damit zu ihrer Überraschung einen Ausbruch spontanen Gelächters, in das sie alle einstimmen zu können glaubten. Das heißt, alle, bis auf Joseph, der zu sehr damit beschäftigt war, die Unterlagen vor sich auf dem Tisch zu lesen, wie sie an dem Rascheln hörte, mit dem er umblätterte.
Kurtz setzte ihr noch ein bisschen mehr zu. »Also beruhigen Sie uns ein bisschen«, forderte er sie auf und sah sie immer noch gütig strahlend an. »Lassen Sie uns vergessen, dass Sie in gewissem Sinne hier eine Gefangene sind. Darf Israel überleben, oder müssen wir hier alle unsere sieben Sachen packen, zurück in unsere Herkunftsländer und wieder von vorn anfangen? Vielleicht wäre es Ihnen lieber, wir nähmen uns ein Stück von Zentral-Afrika? Oder gingen nach Uruguay. Nicht nach Ägypten, vielen Dank; das haben wir schon mal versucht und hatten keinen Erfolg damit. Oder sollen wir uns wieder auf die Ghettos Europas und Asiens verteilen und auf das nächste Pogrom warten? Was meinen Sie, Charlie?«
»Ich möchte bloß, dass Sie die verdammten armen Araber in Ruhe lassen«, parierte sie abermals. »Schön. Und wie genau sollen wir das tun?«
»Hört auf, ihre Flüchtlingslager zu bombardieren. Sie von ihrem Land zu vertreiben, ihre Dörfer niederzuwalzen und sie zu foltern.«
»Haben Sie sich jemals eine Karte des Nahen Ostens angesehen?«
»Selbstverständlich habe ich das.«
»Und als Sie sich die Karte ansahen, haben Sie da jemals den Wunsch verspürt, dass die Araber uns in Ruhe lassen sollten?« sagte Kurtz so gefährlich fröhlich wie zuvor. Zu ihrer Verwirrung und Angst kam jetzt auch noch schlichte Verlegenheit, wie Kurtz wohl beabsichtigt hatte. So mit der nackten Wirklichkeit konfrontiert, kamen ihr ihre Antworten patzig vor, als säße sie wieder in der Schule. Sie kam sich vor wie eine Törin, die den Weisen predigt.
»Ich will doch bloß, dass Frieden herrscht«, sagte sie einfältig, obwohl das genau genommen stimmte. Sie habe, wenn es gestattet sei, die redliche Vorstellung von einem Palästina, das wie durch Zauberhand jenen zurückgegeben werden solle, die daraus vertrieben worden waren, um mächtigeren europäischen Statthaltern Platz zu machen.
»Wenn Sie das so sehen, warum sehen Sie sich dann die Karte nicht noch mal an und fragen sich, was Israel will«, riet Kurtz ihr zufrieden und hielt inne, als wolle er eine Schweigeminute zum Gedenken an jene einlegen, die heute abend nicht in unserer Mitte sein können. Dieses Schweigen wurde immer ungewöhnlicher, je länger es andauerte, denn es war Charlie selbst, die half, es zu wahren. Charlie, die vor Minuten noch Zeter und Mordio geschrieen und Gott und die Welt angerufen hatte, hatte plötzlich nichts mehr hinzuzufügen. So war es denn auch Kurtz und nicht Charlie, der schließlich den Zauber mit etwas brach, das sich wie eine vorbereitete Presseerklärung anhörte.
»Charlie, wir sind nicht hier, um auf Ihren politischen Einstellungen herumzuhacken. Sie werden es uns zu diesem frühen Zeitpunkt zwar nicht abnehmen - wie sollten Sie auch! -, aber ihre politischen Einstellungen gefallen uns. In jeder Beziehung. Mit allen guten Absichten und auch mit allen Widersprüchen. Wir respektieren sie, und wir brauchen sie; wir lachen durchaus nicht darüber, und ich hoffe aufrichtig, wir kommen zu gegebener Zeit dazu, offen und mit Gewinn darüber zu diskutieren. Was wir ansprechen wollen, das ist die natürliche Menschlichkeit in Ihnen - das ist alles. Wir wollen Ihr gutes,
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