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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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hatte ein paar mit Zucker bestreute Kekse wie englische Butterplätzchen. Charlie nahm einen.
    »Das hast du großartig gemacht«, gestand sie ihr atemlos. »Wie du ihnen das mit England unter die Nase gerieben hast. Ich hab’ einfach dagesessen, und es ist mir runtergegangen wie Öl, stimmt’s nicht, Rose?«
    »Das kann man wohl sagen«, sagte Rose.
    »Ich habe nur gesagt, wie mir zumute ist«, erklärte Charlie.
    »Möchtest du mal aufs Klo, meine Liebe?« fragte Rachel.
    »Nein, danke. Das tu’ ich nie zwischen zwei Akten.«
    »Na schön«, sagte Rachel und zwinkerte verständnisvoll.
    Charlie trank einen Schluck Tee und legte dabei einen Ellbogen auf die Lehne ihres Stuhls, um unauffällig einen Blick über die Schulter werfen zu können. Joseph war verschwunden und hatte seine Papiere mitgenommen. Der Raum, in den sie sich zurückgezogen hatte, war nicht so groß, wie das Zimmer, das sie verlassen hatten, aber genauso kahl. Ein paar Feldbetten und ein Fernschreiber bildeten die ganze Einrichtung; durch eine Doppeltür ging es ins Badezimmer. Becker und Litvak setzten sich einander gegenüber auf die Betten und vertieften sich in ihre Unterlagen; den Fernschreiber bediente ein sich betont gerade haltender junger Mann namens David. Gelegentlich ratterte der Apparat los und stieß wieder ein Blatt aus, das David ernst auf einen neben sich liegenden Stapel ablegte. Sonst war nichts weiter zu hören als das Rauschen von Wasser aus dem Bad, wo Kurtz sich mit nacktem Oberkörper am Waschbecken mit Wasser bespritzte wie ein Sportler zwischen zwei Wettkämpfen.
    »Sie ist wirklich ein nettes Mädchen«, rief Kurtz, als Litvak umblätterte und am Rande etwas mit einem Filzstift anstrich. »Sie ist alles, was wir uns erhofft hatten. Intelligent, einfallsreich und unterbeschäftigt.«
    »Sie lügt wie gedruckt«, sagte Litvak, der immer noch las. Dass seine Bemerkung nicht für Kurtz bestimmt war, merkte man an der Art, wie er den Körper vorstreckte, und der Überheblichkeit, mit der er das sagte.
    »Wer will sich denn beschweren?« wollte Kurtz wissen und klatschte sich noch mehr Wasser ins Gesicht. »Heute lügt sie für sich, und morgen lügt sie für uns. Wir brauchen doch nicht plötzlich einen Engel.«
    Plötzlich gab der Fernschreiber ein ganz anderes Geratter von sich. Becker und Litvak warfen beide hellwach einen Blick darauf, doch Kurtz schien nichts gehört zu haben. Vielleicht hatte er Wasser in den Ohren.
    »Für eine Frau sind Lügen ein Schutz. Sie schützt die Wahrheit, damit schützt sie ihre Keuschheit. Für eine Frau stellen Lügen so etwas wie einen Tugendbeweis dar«, verkündete Kurtz und wusch sich immer noch.
    David, der vorm Telefon saß, hielt Achtung gebietend die Hand in die Höhe. »Die Botschaft in Athen, Marty«, sagte er. »Sie wollen eine Meldung aus Jerusalem durchgeben.« Kurtz zögerte. »Sag ihnen, sie sollen loslegen«, erklärte er dann widerstrebend.
    »Nur für Sie allein bestimmt«, sagte David, erhob sich und ging durch das Zimmer.
    Der Fernschreiber ruckte. Kurtz warf sich sein Handtuch um den Hals und nahm auf Davids Stuhl Platz; er legte eine Diskette ein und beobachtete, wie der Klartext erschien. Der Fernschreiber hörte auf zu tickern. Kurtz las die Meldung, riss das Blatt dann von der Rolle und las sie nochmals. Dann stieß er ein zorniges Lachen aus. »Eine Botschaft von allerhöchster Stelle«, verkündete er bitter. »Die große Krähe sagt, wir sollen uns als Amerikaner ausgeben. Ist das nicht lieb? ›Sie dürfen ihr gegenüber in keiner Weise zugeben, dass Sie israelische Bürger sind, die in offiziellem oder fast offiziellem Auftrag handeln.‹ Ich könnte die Leute in Jerusalem küssen! Wie konstruktiv, wie hilfreich! Und genau zum richtigen Zeitpunkt! Misha Gavron, wie er leibt und lebt - unnachahmlich! Nie in meinem Leben habe ich für jemand gearbeitet, auf den man sich so felsenfest verlassen konnte. Kabele zurück: ›Ja, wiederhole: nein‹ «, herrschte er den verdatterten jungen David an und reichte ihm das abgerissene Blatt. Dann kehrten die drei Männer gemeinsam auf die Bühne zurück.

Kapitel 7

    Um seine kleine Unterhaltung mit Charlie wieder aufzunehmen, hatte Kurtz sich für einen Ton wohlwollender Endgültigkeit entschieden, als gehe es ihm nur noch darum, ein paar letzte strittige Punkte zu klären, ehe er zu anderen Dingen überging.
    »Charlie, nochmals zu Ihren Eltern«, sagte er. Litvak hatte einen Ordner aus der Aktenmappe gezogen und hielt

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