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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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der Bühne und in der radikalen Politik gesucht«, fasste er zufrieden noch einmal alles zusammen. »Sie wurden zu einer politischen Exilantin auf der Bühne. Das habe ich irgendwo gelesen, in einem Interview, das Sie gegeben haben. Hat mir gefallen. Machen Sie jetzt von da aus weiter.«
    Sie war wieder dabei, ihren Block vollzukritzeln - noch mehr Psychosymbole. »Ach, es gab aber auch schon davor Möglichkeiten auszubrechen«, sagte sie.
    »Wie zum Beispiel?«
    »Nun, Sex, wissen Sie«, sagte Charlie unbekümmert. »Ich meine, wir haben das Thema Sex als wesentliche Grundlage der Revolte überhaupt noch nicht berührt, oder? Und Drogen.«
    »Wir haben das Thema Revolte noch nicht berührt«, sagte Kurtz.
    »Nun, lassen Sie sich das von mir gesagt sein, Marty…«
    Und das Sonderbare geschah: vielleicht der Beweis dafür, wie ein vollkommenes Publikum das Beste aus einer Schauspielerin herauszuholen und sie auf spontane, unerwartete Weise womöglich noch zu steigern vermag. Sie war im Begriff gewesen, ihnen ihre Standardnummer für die Nicht-Emanzipierten vorzuspielen. Dass die Entdeckung des eigenen Ichs ein wesentliches Vorspiel war, um sich mit der radikalen Bewegung zu identifizieren. Dass, wenn die Geschichte der neuen Revolution geschrieben werde, es sich herausstellen würde, dass ihre eigentlichen Wurzeln in den Wohnzimmern der Mittelschicht lägen, wo die repressive Toleranz ihre natürliche Heimat habe. Doch dann hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung für Kurtz - oder war es für Joseph? - laut ihre vielen frühen Liebhaber sowie all die dummen Gründe aufzählen, die sie sich ausgedacht hatte, um mit ihnen ins Bett zu gehen. »Mir ist das unfasslich, Marty«, betonte sie und öffnete abermals entwaffnend die Hände. Ob sie das mit den Händen übertrieb? Sie fürchtete, das könnte durchaus sein, und so legte sie sie in den Schoß. »Selbst heute noch. Ich wollte sie gar nicht, ich mochte sie gar nicht, ich ließ sie einfach.« Die Männer, die sie sich aus Überdruss genommen hatte, egal was, nur um die schale Luft von Rickmansworth in Bewegung zu bringen, Marty. Aus Neugier. Männer, um sich ihre eigene Macht zu beweisen, Männer, um sich an anderen Männern - oder Frauen - zu rächen, an ihrer Schwester, an ihrer Scheiß-Mutter. Männer nur aus Höflichkeit, weil sie sich einfach nicht mehr gegen ihre Hartnäckigkeit habe wehren können, Marty. Die Rollen-Besetzungs-Couchen -Himmel, Marty, Sie haben ja keine Ahnung! Männer, um die Spannung abzubauen, Männer, um Spannung aufzubauen. Männer, um etwas von ihnen zu lernen - ihre politischen Aufkleber, dazu da, um ihr im Bett zu erklären, was aus Büchern herauszuholen sie nie schaffte. Die Fünf-Minuten-Lüste, die ihr in den Händen zerbrachen wie Töpferwaren und sie einsamer zurückließen denn je. Pleiten, Pleiten, jeder einzelne von ihnen, Marty - zumindest wollte sie ihn das glauben machen. »Aber sie haben mich frei gemacht, verstehen Sie das nicht? Ich habe meinen Körper auf meine Weise eingesetzt. Selbst wenn es nicht die richtige Weise war. Das war nun mal meine Show .«
    Kurtz nickte weise, und Litvak neben ihm ließ den Kugelschreiber übers Papier huschen. Doch insgeheim stellte sie sich vor, wie Joseph hinter ihr saß. Sah ihn vor sich, wie er von seinen Blättern aufblickte, den kräftigen Zeigefinger an die Wange legte und das ganz persönlich für ihn bestimmte Geschenk ihrer erstaunlichen Offenheit entgegennahm. Fang mich auf, gab sie ihm zu verstehen; gib mir, was die anderen mir nie haben geben können. Dann verfiel sie in Schweigen, und ihr fröstelte dabei. Warum hatte sie das getan? Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie diese Rolle gespielt, nicht einmal für sich selbst. Die Zeitlosigkeit der nächtlichen Stunde verfehlte ihre Wirkung auf sie nicht. Die Beleuchtung, das Zimmer oben, das Gefühl, auf Reisen zu sein, im Zug mit Fremden zu sprechen. Sie wollte schlafen. Sie hatte genug getan. Entweder sie gaben ihr die Rolle, oder aber sie schickten sie nach Hause, oder beides.
    Doch Kurtz tat nichts dergleichen. Noch nicht. Vielmehr kündete er eine kurze Pause an, nahm seine Uhr, schnallte sie sich mit dem khakifarbenen Armband ans Handgelenk. Dann schlurfte er aus dem Raum und nahm Litvak mit. Sie wartete auf die Schritte hinter sich, wenn auch Joseph den Raum verließ, doch es kamen keine. Und immer noch nicht. Sie wollte den Kopf drehen, wagte es jedoch nicht. Rose brachte ihr ein Glas gesüßten Tee, ohne Milch. Rachel

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