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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Sabotagetechniken - wobei selbstverständlich kein echter Sprengstoff benutzt wurde, sondern Plastilin. Wie man im Untergrund lebt. Überleben. Die Philosophie der Stadt-Guerilla. Selbst wie man sich um einen Gast - wider Willen - kümmert. Verstehe: ›Ingewahrsamnehmen aufmüpfiger Elemente unter wohnungsähnlichen Verhältnissen‹. Das gefällt mir. Ein schöner Euphemismus.« Er blickte über den Rand des Zeitungsausschnitts hinweg. »Handelt es sich um einen mehr oder weniger zutreffenden Artikel, oder haben wir es hier mit einer der typischen Übertreibungen der kapitalistischzionistischen Presse zu tun?«
    Sie glaubte nicht mehr an seine guten Absichten, doch er wollte auch nicht, dass sie das tat. Kurtz’ alleiniges Ziel war es, sie mit Schrecken vor ihren eigenen extremen Ansichten zu erfüllen und sie zu zwingen, sich von Positionen zurückzuziehen, die einzunehmen ihr gar nicht bewusst war. Manche Verhöre dienen nur dazu, die Wahrheit, andere, Lügen hervorzulocken. Kurtz ging es um Lügen. Seine heisere Stimme hatte daher merklich etwas Hartes bekommen, und der lustige Ausdruck auf seinem Gesicht verflüchtigte sich zusehends.
    »Wollen Sie uns vielleicht ein objektiveres Bild zeichnen, Charlie?« fragte Kurtz.
    »Das war Als Szene, nicht meine«, sagte sie trotzig und machte ihren ersten Rückzieher.
    »Aber Sie sind zusammen hingefahren.« »Wir hatten beide kein Geld, und so war es ein billiges Wochenende auf dem Land. Das ist alles.«
    »Das ist alles«, murmelte Kurtz und überließ sie einem ausgedehnten und schuldbewusstem Schweigen, das zu schwer auf ihr lastete, als dass sie es ohne weiteres hätte beiseite schieben können.
    »Es waren ja nicht nur er und ich da«, begehrte sie auf. »Da waren - mein Gott! - zwanzig von uns. Junge Leute, Schauspieler. Manche besuchten sogar noch die Schauspielschule. Man mietete einen Bus, man haschte ein bisschen, und man spielte bis zum Morgen Wechsel-die-Bettchen. Was soll daran weiter schlimm sein?«
    Kurtz hatte im Moment keine Meinung dazu, was schlimm war und was nicht.
    » Man «, sagte er. »Aber was haben Sie getan? Den Bus gefahren? Wo Sie doch eine so großartige Autofahrerin sind, wie wir hören.«
    »Ich habe Al begleitet. Wie ich schon sagte. Es war seine Szene, nicht meine.« Sie hatte den Halt verloren und fiel. Sie wusste kaum, wie sie abgerutscht war oder wer ihr auf die Finger getreten hatte. Vielleicht hatte sie auch nur die Müdigkeit überwältigt, und sie hatte deshalb losgelassen. Vielleicht hatte sie das aber auch schon die ganze Zeit über gewollt.
    »Und wie oft, meinen Sie, haben Sie sich so was gegönnt, Charlie? Hitzige Reden zu führen? Hasch zu rauchen? In aller Unschuld in freier Liebe zu machen, während andere sich einer Terroristenausbildung unterzogen? Sie reden, als ob es so was alle Tage gegeben hätte. Stimmt das? War so was üblich?«
    »Nein, es war nicht üblich! Das ist aus und vorbei, und ich habe mir so was nicht gegönnt .«
    »Möchten Sie uns sagen, wie häufig so was vorkam?«
    »Es ist auch nicht häufig vorgekommen.«
    »Wie oft?«
    »Ein paarmal. Das ist alles. Dann bekam ich kalte Füße.« Sie fiel, geriet ins Trudeln, und das Dunkel verdichtete sich. Überall um sie herum Luft, ohne sie freilich zu berühren. Joseph, hol mich hier raus! Aber Joseph hatte sie ja gerade reingezogen. Sie horchte auf seine Stimme, sandte ihm mit dem Hinterkopf kleine Botschaften, aber er reagierte nicht. Kurtz sah sie unbewegt an, und sie erwiderte seinen Blick unbewegt. Sie hätte geradenwegs durch ihn hindurch gesehen, wäre sie dazu imstande gewesen; am liebsten hätte sie ihn mit ihrem trotzigen Funkeln geblendet.
    »Ein paarmal«, wiederholte er nachdenklich. »Richtig, Mike?«
    Litvak sah von seinen Notizen auf. »Ein paarmal«, wiederholte er echogleich.
    »Wollen Sie uns denn erzählen, warum Sie kalte Füße bekommen haben?« fragte Kurtz. Ohne den Blick von ihr zu lassen, griff er nach Litvaks Hefter.
    »Es war eine harte Szene«, sagte sie, plötzlich leise, wegen der Wirkung.
    »Hört sich so an«, sagte Kurtz und schlug den Hefter auf. »Ich meine aber nicht politisch. Ich meine, was den Sex betrifft. Das war mir einfach zuviel. Seien Sie doch nicht so schwer von Begriff.«
    Kurtz leckte sich den Daumen und blätterte eine. Seite um; leckte sich den Daumen und blätterte noch eine um; flüsterte Litvak etwas zu, der daraufhin ein paar Worte hauchte - und zwar nicht auf englisch. Er klappte den bräunlichen

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