Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
die, die wir verwirklichen sollen, sonst wäre sie uns nicht gezeigt worden. Das ist zumindest die allgemeine Auffassung über diese Dinge.“
Dawn setzte den Wasserschlauch an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Irgendwie erschien ihr das nicht besonders erstrebenswert: Blind dem Willen der Göttin folgen, der sie auf eine Insel mitten im Meer führte und wer weiß wohin noch. Trotzdem war sie hier, musste sie sich eingestehen.
Als sie schließlich weitergingen hatte Dawn den Wasserschlauch geleert und Corus blickte ratlos auf das leere Gefäß in seinen Händen.
„ Es tut mir leid“, murmelte Dawn und verfluchte sich im Stillen, weil sie so gedankenlos gewesen war und er nun die Konsequenzen ihrer Dummheit tragen musste.
Seine trockenen Lippen legten sich auf die ihren und er küsste sie kurz. „Schon in Ordnung. Ich werde schon nicht verdursten.“
Dawn grinste und zerzauste sein Haar. „Zur Not stehle ich das Wasser des Magus“, flüsterte sie in sein Ohr und lachte als er sie tadelnd anblickte.
Lucthens Augen weiteten sich erstaunt, als sich das Blattwerk vor ihnen plötzlich lichtete und den Blick auf ein Gebäude freigab. Inmitten des Grüns der Insel strahlten die Steine rein und weiß, wie glänzender Marmor. Sie waren angekommen. Lucthen fand diese Erkenntnis auch auf den Gesichtern seiner Begleiter wieder.
„ Wir sollten weiter gehen“, meinte er schließlich und machte den Anfang, indem er auf die Lichtung trat. Drei flache, breite Stufen führten zu der Ebene auf der die Säulen standen, die das Dach trugen. Als Lucthen vor ihnen stand zögerte er kurz. Es fühlte sich nicht richtig an, diesen Ort durch Menschenhände zu entweihen.
Dawn sprang auf die Stufen bevor sie irgendjemand zurückhalten konnte, lief zu einer der Säulen und umschlang sie mit den Armen. „Genau so breit, dass ich sie umfassen kann!“, rief sie.
Crystal grinste schwach und auch die Anderen schienen sich an ihrem Benehmen nicht sonderlich zu stören, doch Lucthen ärgerte ihr Verhalten maßlos. Sie war ja kein kleines Kind mehr, das nicht begriff wenn es Schaden anrichtete und von einer jungen Frau konnte man ja wohl erwarten, dass sie sich etwas besonnener benahm.
„ Also, was denkt ihr, warum baut jemand eine Halle ohne Wände?“ Dawn drehte sich staunend im Kreis und Lucthen überwand seine Zweifel und betrat nun ebenfalls die Stufen. Er fand diese Frage durchaus berechtigt. Mehr noch interessierte ihn allerdings warum Wind und Regen hier keine Spuren hinterlassen hatten. Der Boden der Halle bestand aus quadratischen Steinplatten, die so sauber schienen, als ob sie erst heute Morgen auf Hochglanz poliert worden wären. Manche der Säulen waren von Pflanzen überwachsen, doch die Steine nicht rissig oder verfärbt. Als würde die Göttin selbst ihre schützende Hand über diesen Ort halten, dachte Lucthen.
„ Vielleicht ist das gar nicht der Ort, den Lucianus gemeint hat.“ Crystals Stimme hing verloren zwischen den Steinen. Lucthen drückte kurz ihren Arm. „Du weißt, dass er es ist. Hab keine Angst.“ Crystal nickte und straffte ihre Schultern, wie immer, wenn sie versuchte stark zu sein.
„ Wo, bitte schön, soll hier eine Harfe sein? Ich sehe nur Säulen und noch mehr Säulen.“
Lucthen atmete tief ein und wieder aus. Zu seiner Überraschung sprach Thistle aus, was er sich hatte verbeißen wollen: „Dawn, mir geht dein Gejammer schön langsam wirklich auf die Nerven.“
„ Heißt das, du siehst eine Harfe?“
„ Noch nicht, aber wir haben uns ja auch noch nicht umgesehen.“
Lucthen schritt tiefer ins Innere der Halle. Hier war es kühler als unter den Bäumen, die die Hitze förmlich zu speichern schienen. Ein leichter Wind wehte zwischen den Säulen hindurch und jagte welke Blätter über die glatten Steine. Lucthen erschien es beinahe unheimlich still. Nur die Geräusche die sie selbst verursachten waren zu hören und seine Schritte hallten überdeutlich in seinen Ohren. Das hintere Ende der Halle wurde durch eine Wand abgeschlossen und beim Näher kommen entdeckte Lucthen, dass in die Mauer eine riesige Tür eingelassen war, die ebenfalls aus Stein zu bestehen schien. Sie war riesig. Sicher dreimal so Hoch wie er selbst und Lucthen fragte sich, zu welchem Zweck man wohl ein solches Gebäude errichtete. Schweigend hob er die Hand und deutete auf die Tür. Die Anderen folgten seinem Blick und einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Dann, wie auf ein geheimes Wort hin,
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