Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
setzten sich alle in Richtung der Tür in Bewegung. Je näher sie kamen desto größer schien sie zu werden und als sie schließlich vor ihr standen legte Lucthen den Kopf in den Nacken um sie in ihrer vollen Größe sehen zu können.
„ Sollen wir sie wirklich öffnen?“ Crystals Stimme hatte einen ehrfurchtsvollen Ton und Lucthen hätte vielleicht gezögert, hätte er sich nicht daran erinnert wie es war eine Nacht am Meer zu verbringen, über die Inseln zu wandern und dabei vor Hitze und Durst fast umzukommen. Er nickte Corus, der neben ihm stand, kurz zu und gemeinsam drückten sie die Türflügel nach Innen. Wenn er erwartete hatte, das die Tür schwer zu öffnen sein würde, wurde seine Erwartung enttäuscht. Geräuschlos und beinahe ohne Widerstand schwang sie auf und gab den Blick auf einen Raum frei. Nach kurzem Zögern traten sie durch die Tür. Der Raum ist riesig, sicher größer als die gesamte Hütte meines Vaters, dachte Lucthen. Breite Fenster lagen ihnen gegenüber, die das Licht der Sonne herein ließen. Zu beiden Seiten des Raumes führten Gänge weg, einer nach Links einer nach Rechts. Noch bevor Lucthen darüber nachgedacht hatte, in welche Richtung sie jetzt gehen sollten sah er wie sich Crystal nach Rechts wandte und den Gang entlang eilte. Auf ihrem Gesicht lag ein schlafwandlerischer Ausdruck und Lucthen beeilte sich, ebenso wie die Andern, ihr zu folgen. Sie eilten durch Gänge, bogen, in Lucthens Augen völlig willkürlich, mal nach Links dann nach Rechts ab. Manchmal kamen sie durch Räume hindurch die alle völlig leer waren. Es gab keine Tische, Stühle oder Betten, keine Teppiche oder Vorhänge, ja nicht einmal Halterungen für Fackeln schien es zu geben. Andererseits schien der Zweck dieses Gebäudes auch nicht darin zu liegen für irgendjemand Wohnstatt zu bieten. Lag der Zweck des Gebäudes einzig darin, dass es die Harfe barg? Lucthen durchlief ein Frösteln. Zum ersten Mal zweifelte er daran, ob Crystal der Aufgabe gewachsen war, die man ihr stellte.
Crystal zögerte nicht. Sie folgte einem Zwang der stärker war, als sie. Und so durchschritt sie die leeren Räume und Gänge. Hinter sich hörte sie die Schritte der Anderen seltsam laut von den Wänden hallen. Dawns Stimme klang wie gedämpft in ihr Bewusstsein. „Weiß sie eigentlich, wohin sie rennt?“, „Wir werden nicht mehr zurückfinden, das sag ich euch.“
Crystal antwortete ihr nicht. Sie hatte keine Ahnung woher sie auf einmal den Weg kannte, doch er war in ihr wie eine Landkarte, die in ihre Seele eingebrannt war. Der Gang den Crystal entlang eilte endete und sie blieb einen Augenblick stehen und holte tief Luft, bevor sie die breite Tür aufstieß. Der Anblick ließ Crystal wieder zu Besinnung kommen. Ein Innenhof lag vor ihnen, der so groß war, dass Crystal im ersten Moment dachte, dass sie das Gebäude verlassen hatten, weil nur Pflanzen zu sehen waren. Die Abendsonne tauchte den Platz in warmes Licht, die Steine leuchteten Rot und Orange und Crystal atmete tief. Wie wunderschön! Schließlich trat sie durch die Tür und ging zwischen den Pflanzen hindurch. In der Mitte des Hofes ragten fünf Säulen in die Höhe und Crystal ging auf sie zu. Sie bildeten einen Pavillon, erkannte sie und zwischen den Säulen, auf einem Podest aus weißem Stein, stand eine Harfe. Crystal blieb ruckartig stehen, als sie das Instrument entdeckte. Völlig absurd schien ihr der Gedanke, dass die Harfe seit so langer Zeit hier gewesen sein sollte. Das dunkle Holz wirkte nicht verwittert oder alt, die Saiten sahen so aus, als ob sie gestern erst aufgezogen worden wären.
„ Brauchst du einen Moment?“
Crystal wandte sich zu Lucthen um. Sein Blick wirkte besorgt. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist meine Harfe. Ich weiß es ganz einfach.“
„ Dann geh. Wir warten hier.“
Thistle nickte bekräftigend und Crystal machte einen Schritt auf das Fünfeck zu, das die Säulen bildeten. Dass der Wind die Harfe nie umgeweht hat? Kurz erinnerte sie sich an Lucianus Worte: „Ich habe damals versucht die Harfe zu nehmen, doch ich konnte es nicht. Vermutlich ist sie durch starke Magie geschützt und nur derjenige, der ausersehen ist sie in die Sümpfe zu tragen, kann sie berühren.“
Nein, sie würde jetzt nicht zögern. Endlich stand sie vor der Harfe, streckte ihre Finger aus um das Holz zu berühren, das im Gegensatz zu dem Weiß der Säulen schwarz wirkte. Schwarz und völlig schmucklos. Dennoch war sie wunderschön.
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